Das Geld - 18
war empört, der ganze noch lebendige Stolz ihres Geschlechts stieg aus der trüben Tiefe, aus dem Schlamm empor, darin ihre Leidenschaft sie jeden Tag ein wenig mehr versinken ließ. Doch sie brauste nicht auf, sie sagte nur mit klarer, harter Stimme:
»Ach, so ist das gemeint, mein Lieber, für wen halten Sie mich eigentlich? Sie sind ja verrückt … Nein, ich bin nicht die Mätresse Ihres Saccard, ich wollte es nämlich nicht sein.«
Mit der blumigen Höflichkeit eines Literaten verbeugte er sich vor ihr.
»Nun denn, gnädige Frau, Sie haben einen sehr großen Fehler begangen … Glauben Sie mir, wenn sich noch einmal die Gelegenheit bietet, sollten Sie sich das Geschäft nicht entgehen lassen, denn Sie würden die Tips, denen Sie immer nachjagen, ohne allzuviel Mühe unter dem Kopfkissen dieses Herrn finden … Oh, mein Gott, ja! Dort wird bald ein Nest sein, Sie brauchen nur Ihre hübschen Fingerchen hineinzustecken.«
Sie entschied sich dafür, zu lachen, so als fügte sie sich drein, seinen Zynismus zu teilen. Als sie ihm die Hand drückte, fühlte er, daß die ihre ganz kalt war. Hatte es diese Frau mit diesen roten Lippen, der man nachsagte, sie sei unersättlich, wirklich bei ihrer Fron mit dem eisigen, verknöcherten Delcambre bewenden lassen?
Der Monat Juni verstrich, am 15. hatte Italien Österreich den Krieg erklärt83. Auf der anderen Seite war Preußen nach einem Blitzmarsch von knapp zwei Wochen in Hannover eingefallen, hatte die beiden Hessen, Baden und Sachsen erobert und mitten im Frieden die unbewaffnete Bevölkerung aufgeschreckt. Frankreich hatte tatenlos zugesehen, die gut unterrichteten Leute flüsterten ganz leise an der Börse, es sei durch ein Geheimabkommen mit Preußen verbündet, seitdem Bismarck in Biarritz mit dem Kaiser verhandelt hatte; und man sprach geheimnisvoll von Entschädigungen, mit denen seine Neutralität bezahlt werden sollte. Aber die Baisse wurde dadurch nicht aufgehalten und nahm verheerende Ausmaße an. Als am 4. Juli die Nachricht von Königgrätz84 eintraf, führte dieser plötzliche Donnerschlag zu einem Kurssturz bei allen Papieren. Man glaubte an eine erbitterte Fortsetzung des Krieges; denn wenngleich Österreich von Preußen geschlagen worden war, hatte es doch bei Custozza Italien85 besiegt und sammelte schon, wie es hieß, unter Aufgabe Böhmens die Trümmer seiner Armee. Es regnete Verkaufsorders in die Corbeille, man fand keine Käufer mehr.
Am 4. Juli ging Saccard sehr spät, gegen sechs Uhr, in die Redaktion und traf Jantrou dort nicht an; Jantrou wurde seit einiger Zeit von seinen Leidenschaften aus der Bahn geworfen: oft verschwand er plötzlich, zog von Kneipe zu Kneipe und kehrte entkräftet und mit trübem Blick zurück, ohne daß man je erfahren konnte, was ihn mehr zugrunde richtete, die Dirnen oder der Alkohol. Die Redaktion leerte sich gerade, Dejoie war fast als einziger noch da und nahm an seinem Tisch im Vorzimmer das Abendbrot ein. Nachdem Saccard zwei Briefe geschrieben hatte, wollte er schon gehen, als mit hochrotem Kopf Huret hereinstürmte und sich nicht einmal Zeit ließ, die Türen zu schließen.
»Mein Bester, mein Bester …«
Er war ganz außer Atem und preßte beide Hände vor die Brust.
»Ich komme von Rougon … Ich bin gelaufen, weil ich keine Droschke erwischen konnte. Dann habe ich doch eine gefunden … Rougon hat eine Depesche von dort unten bekommen. Ich habe sie gesehen … Eine Nachricht, eine Nachricht …«
Mit einer heftigen Gebärde brachte ihn Saccard zum Schweigen und stürzte los, die Tür zu schließen, weil er bemerkt hatte, wie Dejoie schon mit gespitzten Ohren herumstrich.
»Also, was gibtʼs?«
»Hören Sie: der Kaiser von Österreich tritt Venetien an86 den Kaiser der Franzosen ab und nimmt seine Vermittlung an; letzterer wird sich an die Könige von Preußen und Italien wenden, um einen Waffenstillstand herbeizuführen.«
Schweigen.
»Das bedeutet also Frieden?«
»Offenbar.«
Saccard, der sprachlos war und noch keinen klaren Gedanken fassen konnte, fluchte.
»Himmeldonnerwetter! Und die ganze Börse steht auf Baisse!«
Dann fuhr er mechanisch fort:
»Und keiner weiß von dieser Nachricht?«
»Nein, die Depesche ist vertraulich, die Note wird noch nicht einmal morgen früh im ›Moniteur‹ erscheinen87. Innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden wird Paris nichts erfahren.«
Das war der Blitzschlag, die plötzliche Erleuchtung. Saccard lief wieder zur Tür und öffnete sie, um
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