Das Geld - 18
mußte, und das er lieber gewaltsam abschneiden wollte. Falls es zur Katastrophe kam, war er entschlossen, die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen. War es nicht das einfachste, Saccard zu zwingen, von allein außer Landes zu gehen, wenn er ihm nach einer saftigen Verurteilung die Flucht erleichterte? Wie anders sollte er ihn sonst dazu bringen? Ein rascher Skandal, ein Besenstrich, und die Sache war erledigt. Im übrigen war der Minister in einer schwierigen Lage, seitdem er im Corps législatif in einer Regung denkwürdiger Beredsamkeit erklärt hatte, Frankreich werde nie zulassen, daß Italien Rom besetzt. Von den Katholiken laut bejubelt, von dem immer mächtiger werdenden Tiers Parti heftig angegriffen, sah er die Stunde kommen, da letzterer ihm mit Hilfe der liberalen Bonapartisten die Macht entreißen würde, sofern er nicht auch ihnen ein Pfand gab. Und dieses Pfand sollte, wenn die Umstände es verlangten, die Preisgabe der Banque Universelle sein, die von Rom protegiert wurde und eine beunruhigende Macht geworden war. Was ihn schließlich vollends in seinem Beschluß bestärkt hatte, war eine geheime Mitteilung seines Kollegen vom Finanzministerium, der eine Staatsanleihe auflegen wollte, jedoch bei Gundermann und allen jüdischen Bankiers auf große Zurückhaltung gestoßen war. Sie hatten zu verstehen gegeben, daß sie ihre Kapitalien so lange verweigern würden, wie der Markt für sie unsicher und den Abenteuern ausgeliefert blieb. Gundermann triumphierte. Lieber wollte Rougon den Juden ihr Königtum des Goldes zugestehen, als daß die ultramontanen Katholiken, wenn sie die Könige der Börse wurden, die Welt regierten.
Später erzählte man, der Justizminister Delcambre, der sich in seinen Groll auf Saccard verbissen hatte und bei Rougon vorfühlen ließ, welche Haltung seinem Bruder gegenüber einzunehmen sei für den Fall, daß die Justiz eingreifen müßte, habe zur Antwort lediglich den aus tiefstem Herzen kommenden Aufschrei erhalten: »Ach, soll er ihn mir doch vom Halse schaffen, ich würde ihm eine dicke Kerze stiften!« Von dem Augenblick an, da Rougon Saccard im Stich ließ, war dieser verloren. Delcambre, der ihn seit seinem Machtantritt belauerte, hatte ihn endlich ertappt, wie er den Boden des Gesetzbuches verlassen hatte und fast schon in dem weitverzweigten Netz der Justiz gefangen war; Delcambre brauchte nur noch einen Vorwand, um seine Gendarmen und seine Richter loszuschicken.
Eines Morgens begab sich Busch, wütend, daß er nicht schon längst gehandelt hatte, in den Justizpalast. Wenn er sich jetzt nicht beeilte, holte er nie die viertausend Francs aus Saccard heraus, die dieser der Méchain von der famosen Unkostenrechnung für den kleinen Victor schuldig geblieben war. Sein Plan bestand einfach darin, einen abscheulichen Skandal aufzuwirbeln und Saccard der Freiheitsberaubung an einem Kinde zu bezichtigen, um die schmutzigen Einzelheiten von der Vergewaltigung der Mutter und von der Verwahrlosung des Bengels enthüllen zu können. Ein solcher Prozeß gegen den Direktor der Banque Universelle würde angesichts der Erregung über die Krise dieser Bank gewiß ganz Paris in Aufruhr versetzen; und Busch hoffte immer noch, daß Saccard bei der ersten Drohung zahlen würde. Aber der Staatsanwaltsvertreter, der ihn zu empfangen hatte, ein Neffe Delcambres, hörte sich seine Geschichte mit ungeduldiger und gelangweilter Miene an: nein, nein, mit solchem Geschwätz sei nichts Ernsthaftes anzufangen, das falle unter keinen Paragraphen des Gesetzbuches. Aus der Fassung gebracht, ereiferte sich Busch, sprach von seiner großen Geduld, als ihn der Justizbeamte plötzlich unterbrach, weil er ihn sagen hörte, er habe Saccard gegenüber die Gutmütigkeit sogar so weit getrieben, bei der Banque Universelle Gelder zur Sicherheit zu hinterlegen. Wie! Bei der sicheren Zahlungsunfähigkeit dieser Bank hatte er dort gefährdete Gelder und unternahm nichts? Was gab es Einfacheres, er brauchte nur auf Betrug zu klagen. Die Justiz sei bereits über betrügerische Machenschaften unterrichtet, die den Bankrott herbeiführen würden. Damit war der schreckliche Schlag zu führen, nicht mit der anderen Geschichte, diesem Melodrama einer an Trunksucht gestorbenen Dirne und eines in der Gosse aufgewachsenen Kindes. Busch hörte mit aufmerksamer, ernster Miene zu; auf diese neue Fährte angesetzt, wurde er zu einem Schritt gedrängt, den zu tun er gar nicht gekommen war, dessen entscheidende Folgen er aber erriet:
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