Das Geld - 18
beschäftigen; sie wollte handeln, als gäbe es ihn gar nicht. Wenn sie seinen Namen aussprechen mußte, schien sie von einem Fremden zu reden, von einer Gegenpartei, deren Interessen von den ihren verschieden waren. Obwohl sie fast täglich ihren Bruder in der Conciergerie besuchte, hatte sie nicht einmal um die Erlaubnis gebeten, Saccard besuchen zu dürfen. Und sie war sehr tapfer, sie kampierte noch immer in ihrer Wohnung in der Rue Saint-Lazare, empfing alle, die zu ihr wollten, auch jene, die mit Verwünschungen auf den Lippen kamen, und hatte sich auf diese Weise in eine Geschäftsfrau verwandelt, entschlossen, von ihrer Ehrlichkeit und von ihrem Glück zu retten, was sie konnte.
Während der langen Tage, die sie auf diese Weise zubrachte, oben in dem Zeichensaal, wo sie so schöne Stunden der Arbeit und der Hoffnung verlebt hatte, betrübte ein Schauspiel sie ganz besonders. Sobald sie ans Fenster trat und einen Blick auf das Nachbarhaus warf, preßte sich ihr das Herz zusammen, wenn sie hinter den Scheiben des engen Raumes, in dem sich die Gräfin Beauvilliers und ihre Tochter Alice aufhielten, die blassen Profile der beiden armen Frauen erblickte. An diesen milden Februartagen sah sie sie oft auch mit langsamen Schritten und gesenkten Hauptes auf den Wegen des moosüberwucherten, vom Winter verwüsteten Gartens auf und ab gehen. Für diese beiden Existenzen wirkte sich der Zusammenbruch verheerend aus. Die unglücklichen Frauen, die vor vierzehn Tagen mit ihren sechshundert Aktien noch eine Million achthunderttausend Francs besaßen, hätten heute nur noch achtzehntausend Francs erzielt, da das Stück von dreitausend Francs auf dreißig Francs gefallen war. Ihr gesamtes Vermögen war dahingeschmolzen, jäh hinweggerafft: die zwanzigtausend Francs Mitgift, die die Gräfin so mühsam beiseite gelegt hatte, die auf den Pachthof Les Aublets zunächst geliehenen siebzigtausend Francs und Les Aublets selbst, das sie später für zweihundertvierzigtausend Francs verkauft hatten, wo das Gut doch vierhunderttausend wert war. Was sollte werden, wenn die Hypotheken, mit denen das Palais belastet war, schon achttausend Francs im Jahr auffraßen und sie nie mit weniger als siebentausend Francs für den Haushalt hatten auskommen können, trotz ihrer Knauserei, der Wunder kleinlichen Geizes, die sie vollbrachten, um den Schein zu wahren und standesgemäß zu leben? Selbst wenn sie ihre Aktien verkauften – wie sollten sie hinfort leben, wie allen Bedürfnissen gerecht werden mit diesen achtzehntausend Francs, den letzten Trümmern aus dem Schiffbruch? Eine Notwendigkeit drängte sich auf, die die Gräfin noch nicht recht hatte ins Auge fassen wollen: das Palais aufzugeben, es den Hypothekengläubigern zu überlassen, weil man die Zinsen nicht mehr bezahlen konnte, nicht zu warten, bis die Gläubiger es versteigern ließen, und sich sofort in irgendeine kleine Wohnung zurückzuziehen, um darin bis zum letzten Bissen Brot ein beschränktes und bescheidenes Leben zu fristen. Doch wenn die Gräfin sich dagegen sträubte, so deshalb, weil das für sie die völlige Entwurzelung war, der Tod alles dessen, was sie zu sein geglaubt hatte, der Zusammenbruch des Hauses ihres Geschlechts, das sie seit Jahren mit ihren zitternden Händen und einer heldenhaften Verbissenheit zu schützen suchte. Die Beauvilliers zur Miete, nicht mehr unter dem Dach der Ahnen, sondern im eingestandenen Elend der Besiegten bei anderen lebend, hieß das nicht wahrlich, vor Schande zu sterben? Und so kämpfte sie immer noch.
Eines Morgens sah Frau Caroline, wie die beiden Damen unter dem kleinen Schuppendach im Garten ihre Wäsche wuschen. Die alte Köchin war fast gelähmt und ihnen keine große Hilfe mehr, während der letzten Fröste hatten sie sie pflegen müssen. Und nicht viel anders stand es um den Mann, Concierge, Kutscher und Kammerdiener in einer Person, der mit Mühe und Not das Haus ausfegte und das uralte Pferd auf den Beinen hielt, schlottrig und ausgemergelt wie er selbst. Daher hatten sich die Damen entschlossen an die Hausarbeit gemacht. Die Tochter stand manchmal von ihren Aquarellen auf, um die mageren Suppen zu kochen, von denen die vier Personen kärglich lebten, und die Mutter wischte Staub, besserte die Kleider und das Schuhwerk aus, in ihrer strengen Sparsamkeit sich einbildend, daß der Staubwedel und die Nadeln sich weniger abnützten, das Garn länger reichen würde, seitdem sie selber sich ihrer bediente. Kam jedoch
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