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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Einzelheiten erzählte, verlegen nach Worten suchte, sah Frau Caroline Nathalie wieder vor sich, schmal und blond, mit ihrer zarten Anmut eines hübschen Mädchens vom Pariser Pflaster. Sie sah vor allem wieder ihre großen Augen mit dem so ruhigen, so kalten Blick, der soviel Egoismus verriet. Das Kind hatte sich von seinem Vater anbeten lassen, ein glückliches Idol, so lange brav, wie sie ein Interesse daran hatte, zu einem törichten Fehltritt unfähig, solange sie auf eine Mitgift, eine Heirat und einen Ladentisch in einem kleinen Geschäft hoffte, wo sie an der Kasse thronen könnte. Aber weiter ein Leben der Entbehrung zu führen, als Aschenputtel mit ihrem gutmütigen alten Vater zu leben, der jetzt wieder arbeiten mußte, o nein, von diesem freudlosen Dasein hatte sie die Nase voll, jetzt, wo es keine Hoffnung mehr gab! Und sie hatte sich aus dem Staub gemacht, hatte kaltblütig ihre Stiefelchen angezogen und ihren Hut aufgesetzt, um anderswo ihr Glück zu versuchen.
    »Mein Gott!« stammelte Dejoie. »Viel Spaß hat es ihr nicht gemacht zu Hause, das ist schon wahr; und wenn man nett aussieht, will man seine Jugend eben nicht vertrödeln … Aber trotzdem ist sie sehr hart zu mir gewesen. Stellen Sie sich vor, nicht mal auf Wiedersehen zu sagen, keine Zeile, nicht das geringste Versprechen, mich von Zeit zu Zeit zu besuchen … Sie hat die Tür zugemacht, und fertig. Sie sehen ja, die Hände zittern mir, ich bin gar nicht mehr richtig beisammen. Ich kann nicht anders, ich suche sie immerzu, zu Hause. Nach so vielen Jahren, mein Gott, ist es denn möglich, daß ich sie nicht mehr bei mir habe, daß ich sie nie mehr bei mir haben soll, mein armes liebes Kind!«
    Er hatte zu weinen aufgehört, und sein fassungsloser Schmerz war so herzzerreißend, daß Frau Caroline ihn bei den Händen nahm und keinen anderen Trost fand, als in einem fort zu wiederholen:
    »Mein armer Dejoie, mein armer Dejoie …«
    Um ihn abzulenken, kam sie dann auf den Ruin der Banque Universelle zurück. Sie entschuldigte sich, daß sie ihn veranlaßt hatte, Aktien zu nehmen, und hielt strenges Gericht über Saccard, ohne ihn beim Namen zu nennen. Aber sofort wurde der ehemalige Bürodiener wieder lebhaft. Dem Börsenspiel verfallen, packte ihn schon wieder die Leidenschaft.
    »Herr Saccard, ach, der hat schon recht gehabt, mich am Verkaufen zu hindern. Das Geschäft ging glänzend, wir hätten die andern alle verschlungen, wenn uns nicht die Verräter im Stich gelassen hätten … Ach, gnädige Frau, wenn Herr Saccard da wäre, liefe das anders. Das war unser Tod, als man ihn ins Gefängnis gesteckt hat. Und dabei könnte bloß er allein uns retten … Ich habe es dem Richter gesagt: ›Monsieur, geben Sie ihn uns zurück, und ich vertraue ihm abermals mein Vermögen an, ich vertraue ihm mein Leben an, weil dieser Mann der liebe Gott ist, sehen Sie! Der schafft alles, was er will.‹«
    Verdutzt schaute Frau Caroline ihn an. Wie, kein Wort des Zornes, kein Vorwurf? Das war der inbrünstige Glaube eines Gläubigen. Was für eine Macht muß Saccard über die Masse gehabt haben, um sie unter ein solches Joch der Leichtgläubigkeit zu zwingen!
    »Ja, gnädige Frau, ich bin bloß gekommen, um Ihnen das zu sagen, und ich muß mich entschuldigen, wenn ich Ihnen von meinem Kummer erzählt habe, weil ich nicht mehr richtig im Kopfe bin … Wenn Sie Herrn Saccard besuchen, richten Sie ihm doch aus, daß wir immer zu ihm stehen!«
    Und er ging davon mit seinem schwankenden Schritt. Allein geblieben, schauderte Frau Caroline einen Augenblick vor dem Dasein. Dieser unglückliche Mensch hatte ihr das Herz zerrissen. Und auf den anderen, dessen Namen sie nicht aussprach, hatte sie doppelte Wut, die sie in sich hineinfraß. Überdies kamen immerzu neue Besucher, sie wurde an diesem Vormittag regelrecht überrannt.
    Besonders erschüttert war sie durch den Besuch der Jordans. Paul und Marcelle, die als gute Eheleute die ernsten Schritte stets nur zu zweit unternahmen, wollten sie fragen, ob ihre Eltern, die Maugendres, aus ihren Universelle-Aktien tatsächlich nichts mehr herausholen könnten. Auch hier war das Unheil nicht wiedergutzumachen. Vor den großen Schlachten der letzten beiden Liquidationen besaß der ehemalige Zeltplanenfabrikant bereits fünfundsiebzig Aktien, die ihn an die achtzigtausend Francs gekostet hatten: ein großartiges Geschäft, denn beim Kurs von dreitausend Francs waren diese Papiere zweihundertfünfundzwanzigtausend wert. Aber

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