Das Geld - 18
Es geht dabei vielleicht um die Rettung meines Bruders. Herr Mazaud weiß genau, daß sich mein Bruder nie um die Börsengeschäfte gekümmert hat, und seine Aussage wäre von großer Wichtigkeit … Andererseits muß ich ihn nach Zahlen fragen, er allein kann mir über gewisse Schriftstücke Auskunft geben.«
Zaudernd bat Berthier sie schließlich, in das Arbeitszimmer des Wechselmaklers einzutreten.
»Warten Sie dort einen Augenblick, gnädige Frau, ich will gleich mal nachsehen.«
Und in diesem Raum verspürte Frau Caroline tatsächlich eine große Kälte. Das Feuer mußte seit dem Vortag erloschen sein; niemand hatte daran gedacht, es wieder anzuzünden. Aber was sie am meisten überraschte, war die peinliche Ordnung, als hätte Mazaud die ganze Nacht und den ganzen Vormittag darauf verwendet, die Schränke zu leeren, die unnützen Papiere zu vernichten und jene abzulegen, die aufgehoben werden mußten. Nichts lag herum, keine Akte, nicht einmal ein Brief. Auf dem Schreibtisch sah man nur, sorgfältig zurechtgerückt, das Tintenfaß, die Federschale und eine große Schreibunterlage mit einem Packen Auftragszettel des Hauses darauf, grüne Auftragszettel, in der Farbe der Hoffnung. Über diese Kahlheit legte sich mit der dumpfen Stille eine unendliche Traurigkeit.
Nach einigen Minuten kam Berthier zurück.
»Es tut mir leid, gnädige Frau, ich habe zweimal geläutet, und mehr wage ich nicht … Vielleicht läuten Sie selbst noch mal, wenn Sie hinuntergehen. Aber ich rate Ihnen, ein andermal wiederzukommen.«
Frau Caroline mußte sich damit abfinden. Indessen zögerte sie noch auf dem Treppenabsatz des ersten Stockwerks, sie streckte sogar die Hand nach dem Klingelknopf aus. Aber als sie schließlich gehen wollte, drangen Schreie, Schluchzen, dumpfer Lärm aus der Wohnung und hielten sie zurück. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, ein Diener stürzte verstört heraus und verschwand auf der Treppe, während er stammelte:
»Mein Gott, mein Gott! Der gnädige Herr …«
Sie war reglos vor dieser offenen Tür stehengeblieben und hörte jetzt deutlich entsetzliche Schmerzensschreie. Es überlief sie eiskalt, denn sie erriet und hatte plötzlich deutlich vor Augen, was geschehen war. Zuerst wollte sie fliehen, dann konnte sie es nicht; aus grenzenlosem Mitleid zog es sie dorthin, wollte sie das Geschehene sehen und ihre Tränen bringen. Sie trat ein, fand alle Türen weit offen und gelangte in den Salon.
Zwei Dienerinnen, offenbar die Köchin und das Stubenmädchen, reckten dort den Hals und stotterten mit schreckerfüllten Gesichtern:
»Oh, der gnädige Herr! Oh, mein Gott, mein Gott!«
Das ersterbende Licht des grauen Wintertages drang schwach durch den Spalt zwischen den dicken Seidenvorhängen. Aber es war sehr warm, große Scheite verglühten im Kamin und erhellten die Wände mit einem glutroten Widerschein. Auf einem Tisch stand ein Rosenstrauß, ein für die Jahreszeit königliches Bukett, das der Wechselmakler noch tags zuvor seiner Frau mitgebracht hatte; in dieser Treibhauswärme erblüht, erfüllten die Rosen das ganze Zimmer mit Wohlgeruch. Es war ein Duft, den gleichsam die erlesene Pracht der Einrichtung zu verströmen schien, ein Duft von Wohlergehen, Reichtum und Liebesglück, die hier vier Jahre lang heimisch gewesen waren. Und in dem roten Abglanz des Feuers lag Mazaud hingestreckt auf dem Sofa, den Kopf von einer Kugel zerschmettert, die Hand um den Griff des Revolvers gekrampft; vor ihm stand seine junge Frau, die herbeigelaufen war und jenen Klagelaut ausstieß, jenen anhaltenden wilden Schrei, der bis auf die Treppe zu hören war. Im Augenblick der Detonation hatte sie ihren kleinen viereinhalbjährigen Jungen auf dem Arm gehabt, der seine kleinen Ärmchen vor Entsetzen um ihren Hals geklammert hatte; das sechs Jahre alte Töchterchen war ihr gefolgt und hatte sich an ihren Rock gehängt, sich an sie geschmiegt; und wie die beiden Kinder ihre Mutter so verzweifelt schreien hörten, schrien sie ebenfalls.
Frau Caroline wollte sie gleich hinausführen.
»Frau Mazaud, ich flehe Sie an … Bleiben Sie nicht hier …«
Sie zitterte selbst, fühlte sich schwach werden. Aus Mazauds durchlöchertem Kopf sah sie noch das Blut fließen, das Tropfen für Tropfen auf den Samt des Sofas fiel und von dort auf den Teppich rieselte. Der große Fleck auf dem Boden wurde immer größer. Und ihr war, als käme dieses Blut auf sie zu und bespritzte ihr die Füße und Hände.
»Frau Mazaud, ich flehe
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