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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Stunde zu Stunde voll Bangen damit rechnete, ihn in diesem Abgrund versinken zu sehen. Schon zweimal war das Gerücht von der Katastrophe umgelaufen. Und in dieser Verbissenheit, mit der das Schicksal ihn verfolgte, trat noch ein letztes Unglück ein, der Wassertropfen, der das Gefäß zum Überlaufen brachte: vor zwei Tagen hatte man den Angestellten Flory verhaftet und der Veruntreuung von hundertachtzigtausend Francs überführt. Die Ansprüche von Fräulein Chuchu, der ehemaligen kleinen Statistin und mageren Heuschrecke vom Pariser Pflaster, waren immer mehr gestiegen: erst fröhliche Bummelpartien, die gar nicht teuer waren, dann die Wohnung in der Rue Condorcet, dann Schmuck und Spitzen. Aber was den unglücklichen, verliebten jungen Mann ins Verderben gestürzt hatte, waren seine ersten zehntausend Francs Gewinn nach Königgrätz, dieses so schnell gewonnene und genauso schnell wieder verjubelte Geld; im Fieber seiner Leidenschaft für die so teuer erkaufte Frau brauchte er seither immer wieder neues Geld. Das Ungewöhnliche an der Geschichte war, daß Flory seinen Chef nur bestohlen hatte, um seine Spekulationsschulden bei einem anderen Makler bezahlen zu können: eine seltsame Ehrlichkeit, offenbar hatte Flory panische Angst vor der sofortigen Pfändung gehabt und wohl auch gehofft, den Diebstahl verbergen, das Loch durch irgendein wunderbares Geschäft wieder zustopfen zu können. Im Gefängnis hatte er in einem gräßlichen Erwachen der Scham und der Verzweiflung sehr geweint; man erzählte sich, seine Mutter sei noch am gleichen Morgen aus Saintes gekommen, um ihn zu besuchen, und liege nun bei Freunden, wo sie abgestiegen war, krank im Bett.
    Was für ein seltsames Ding ist das Glück! dachte Frau Caroline, während sie den Place de la Bourse überquerte. Erst der ungewöhnliche Erfolg der Banque Universelle, dieser rasche Aufstieg zum Triumph, zur Eroberung und zur Herrschaft in knapp vier Jahren, dann dieser plötzliche Zusammenbruch, bei dem das riesige Gebäude binnen einem Monat zu Staub zerfallen war – das alles versetzte sie noch immer in Bestürzung. Und war das nicht auch Mazauds Geschichte? Gewiß, nie hatte ein Mann erlebt, daß ihm das Schicksal so zulächelte. Wechselmakler mit zweiunddreißig Jahren und bereits durch seines Onkels Tod sehr reich geworden, glücklich verheiratet mit einer bezaubernden Frau, die ihn vergötterte und ihm zwei schöne Kinder geschenkt hatte, war er außerdem ein gutaussehender Mann und nahm an der Corbeille mit jedem Tag eine immer angesehenere Stellung ein, dank seinen Verbindungen, seiner Rührigkeit, seinem wahrhaft überraschenden Gespür und sogar dank seiner schrillen Stimme, die wie eine Querpfeife klang und ebenso berühmt war wie Jacobys donnernder Baß. Und plötzlich geriet alles ins Wanken, er stand am Rande des Abgrunds, wo jetzt ein Hauch genügte, ihn hineinzustürzen. Dabei hatte er gar nicht spekuliert, noch hatten sein Arbeitseifer, die Ängste seiner Jugend ihn davor geschützt. Mitten im ehrlichen Kampf war er durch Unerfahrenheit und Leidenschaft getroffen worden, weil er den anderen zu sehr vertraut hatte. Im übrigen genoß er nach wie vor lebhafte Sympathie; man behauptete, er könnte sich mit viel Frechheit aus der Affäre ziehen.
    Als Frau Caroline in das Maklerbüro hinaufgestiegen war, spürte sie deutlich den Geruch des Ruins, den Schauder heimlicher Angst in den düster gewordenen Geschäftsräumen. Beim Durchqueren der Kasse sah sie dort eine ganze Menge Leute warten, an die zwanzig Personen, während der Bargeldkassierer und der Aktienverwalter den Verpflichtungen der Firma noch nachkamen, aber mit langsamer Hand, so als leerten sie die letzten Schubfächer. Durch eine halboffene Tür konnte sie einen Blick in das Liquidationsbüro werfen, das zu schlummern schien; die sieben Angestellten lasen ihre Zeitung, denn sie hatten nur noch selten Geschäfte abzuwickeln, seitdem die Börse feierte. Allein bei den Kassageschäften herrschte noch etwas Leben. Berthier, der Prokurist, empfing sie mit blassem Gesicht, selber ganz aufgeregt über das Unglück des Hauses.
    »Ich weiß nicht, gnädige Frau, ob Herr Mazaud Sie empfangen kann … Er ist ein wenig leidend, er hat gefroren, weil er die ganze letzte Nacht im ungeheizten Zimmer gearbeitet hat. Jetzt ist er in seine Wohnung im ersten Stockwerk hinuntergegangen, um sich etwas auszuruhen.«
    »Ich bitte Sie, mein Herr, veranlassen Sie, daß ich ein paar Worte mit ihm reden kann …

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