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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Sie an, folgen Sie mir …«
    Aber die Unglückliche mit ihrem Sohn am Halse und mit ihrer Tochter, die sich an ihre Hüfte drängte, hörte nicht, rührte sich nicht, starr und steif und wie angewurzelt, so daß keine Macht der Welt sie hätte losreißen können. Alle drei waren blond, von einer milchigen Frische, die Züge der Mutter ebenso zart und unschuldig wie die der Kinder. Und in der Lähmung über das Ende ihrer Glückseligkeit, angesichts dieser jähen Zerstörung ihres Glücks, das doch ewig hatte währen sollen, gellte weiter ihr lauter Schrei, ein Heulen, in dem das ganze schreckliche Leid des Menschengeschlechts zum Ausdruck kam.
    Da fiel Frau Caroline auf die Knie. Sie schluchzte, sie stammelte.
    »Oh, Frau Mazaud, Sie brechen mir das Herz … Bitte, Frau Mazaud, reißen Sie sich von diesem Anblick los, kommen Sie mit mir in das Zimmer nebenan, lassen Sie mich versuchen, Ihnen ein wenig von dem Leid zu ersparen, das man Ihnen angetan hat …«
    Und immer noch war da die schreckenerregende, bejammernswerte Gruppe, die Mutter mit den beiden Kleinen, gleichsam mit ihr verschmolzen, reglos, von dem aufgelösten langen matten Haar umhüllt. Und immer noch dieses gräßliche Heulen, diese Klage des Blutes, die aus dem Walde aufsteigt, wenn die Jäger das Vatertier getötet haben.
    Ganz wirr im Kopf, hatte sich Frau Caroline wieder erhoben. Schritte, Stimmen waren zu vernehmen, offenbar kam ein Arzt, um den Tod festzustellen. Und sie konnte nicht länger bleiben, sie entfloh, verfolgt von der fürchterlichen Klage ohne Ende, die sie sogar noch auf dem Bürgersteig im Rollen der Droschken zu hören vermeinte.
    Der Himmel wurde fahl, es war kalt, und sie ging langsam, aus Furcht, wegen ihrer verstörten Miene könnte man sie für eine Mörderin halten und verhaften. Alles stieg wieder in ihr auf, die ganze Geschichte des ungeheuerlichen Zusammenbruchs von zweihundert Millionen, dieser Berg von Ruinen, der so viele Opfer unter sich zermalmte. Welche geheimnisvolle Kraft mochte diesen goldenen Turm, den sie so rasch errichtet hatte, auf solche Weise zerstört haben? Die gleichen Hände, die ihn erbaut, schienen sich, vom Wahnsinn gepackt, verschworen zu haben, keinen Stein mehr auf dem anderen zu lassen. Überall wurden Schmerzensschreie laut, krachten Vermögen zusammen mit dem Getöse von Trümmerloren, die auf dem öffentlichen Schuttabladeplatz entleert werden. Da waren die letzten Ländereien der Beauvilliers, die Sou um Sou zusammengekratzten Ersparnisse Dejoies, die von Sédille in der Großindustrie erzielten Gewinne, die Jahreszinsen der Maugendres, die sich aus dem Geschäftsleben zurückgezogen hatten – das alles wurde bunt durcheinander mit lautem Gepolter in ein und dieselbe Kloake geworfen, die davon niemals voll wurde. Da war Jantrou, der im Alkohol ertrank; die Sandorff, die im Schmutz versank; Massias, der wieder sein elendes Dasein eines Treiberhundes führen mußte und durch die Schulden für sein ganzes Leben an die Börse gefesselt war. Da war Flory, der Dieb, der im Gefängnis saß und für die Schwächen eines Verliebten büßte. Da waren Sabatani und Fayeux, auf der Flucht, die Furcht vor den Gendarmen im Nacken. Und da waren, herzzerreißender noch und bemitleidenswerter, die unbekannten Opfer, die große, namenlose Herde all derer, die die Katastrophe arm gemacht hatte, die in ihrer Verlassenheit zitterten und vor Hunger ächzten. Schließlich war da der Tod, Pistolenschüsse in allen Himmelsrichtungen von Paris; da war Mazauds zerschmetterter Kopf, Mazauds Blut, das in der Pracht und in dem Duft der Rosen Tropfen für Tropfen auf seine Frau und seine Kinder fiel, die vor Schmerz heulten.
    Und da brach alles, was sie seit Wochen gesehen und gehört hatte, aus dem verwundeten Herzen von Frau Caroline hervor in einem einzigen Schrei der Verfluchung gegen Saccard. Sie konnte nicht mehr schweigen, ihn beiseite schieben, als gäbe es ihn gar nicht, um ihn nicht richten und verurteilen zu müssen. Er allein war der Schuldige, das ging aus jedem dieser sich häufenden Zusammenbrüche hervor, deren schreckliche Anhäufung sie mit Entsetzen erfüllte. Sie verfluchte Saccard. Ihr Zorn und ihre Empörung, die sie so lange im Zaum gehalten hatte, machten sich Luft in einem Haß, der nach Rache schrie, im Haß auf das Böse. Liebte sie etwa ihren Bruder nicht mehr, daß sie bis jetzt gewartet hatte, um jenen schrecklichen Mann zu hassen, der die einzige Ursache ihres Unglücks war? Ihr armer

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