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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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fest an ihr Herz. Sie wußte nichts anderes zu tun, sie weinte mit ihnen. Und die zwei unglücklichen Frauen verstanden, ihre Tränen flossen reichlicher und sanfter. Wenn auch kein Trost möglich war, mußte man nicht weiter leben, trotz alledem leben?
    Als Frau Caroline wieder auf der Straße stand, gewahrte sie Busch in einem großen Palaver mit der Méchain. Er hatte einen Wagen angehalten, schob Léonie hinein und verschwand. Als aber Frau Caroline weglaufen wollte, kam die Méchain gerade auf sie zu. Offenbar hatte sie ihr aufgelauert, denn sie fing gleich von Victor an, bereits genau von dem unterrichtet, was sich tags zuvor im »Werk der Arbeit« zugetragen hatte. Seitdem sich Saccard geweigert hatte, die viertausend Francs zu bezahlen, war sie in ständigem Zorn und zerbrach sich den Kopf auf der Suche nach Mitteln und Wegen, wie sie die Angelegenheit noch ausbeuten könnte; in der Hoffnung auf irgendeinen profitablen Zwischenfall ging sie oft zum Boulevard Bineau und hatte hier auch die Geschichte mit Victor erfahren. Offenbar hatte sie schon einen Plan geschmiedet, sie erklärte Frau Caroline, sie wolle sich sofort auf die Suche nach Victor begeben. Es sei doch zu schrecklich, dieses unglückliche Kind so seinen bösen Instinkten zu überlassen, man müsse es wieder einfangen, wenn man es nicht eines schönen Tages vor dem Schwurgericht sehen wolle. Und während sie sprach, durchbohrte sie mit ihren kleinen Augen, die in den Speckfalten ihres Gesichts verschwanden, die gute Frau Caroline, freute sich über deren Bestürzung und dachte daran, daß sie weiter Hundertsousstücke aus ihr herausholen könnte, wenn sie erst den Bengel wiedergefunden hätte.
    »Also abgemacht, Frau Caroline, ich will mich um ihn kümmern. Falls Sie wissen wollen, wie es steht, brauchen Sie sich nicht die Mühe zu machen und in die Rue Marcadet zu laufen, kommen Sie einfach zu Herrn Busch in die Rue Feydeau, dort sind Sie sicher, mich alle Tage gegen vier Uhr anzutreffen.«
    Frau Caroline kehrte in die Rue Saint-Lazare zurück, von neuer Angst gequält. In der Tat, wenn dieses kleine Monstrum auf die Menschheit losgelassen war und gehetzt durch die Welt irrte, würde es dann nicht wie ein reißender Wolf seinen ererbten Drang zum Bösen im Gewühl der Massen zu befriedigen suchen? Sie aß rasch zu Mittag und nahm sich einen Wagen, um noch am Boulevard Bineau vorbeizufahren, bevor sie in die Conciergerie ging, denn sie brannte darauf, die näheren Einzelheiten zu erfahren. In ihrer fieberhaften Erregung kam ihr unterwegs ein Gedanke, den sie nicht mehr los wurde: sie müßte sich erst zu Maxime begeben, ihn ins »Werk der Arbeit« mitnehmen und ihn zwingen, sich um Victor zu kümmern, dessen Bruder er schließlich war. Er allein war reich, er allein konnte eingreifen und sich wirksam mit der Angelegenheit befassen.
    Aber in der Avenue de lʼImpératrice überlief es Frau Caroline schon im Vestibül des prächtigen kleinen Palais eiskalt. Dekorateure nahmen die Wandbespannungen ab und rollten die Teppiche zusammen, Diener streiften Schonbezüge über die Sessel und die Kronleuchter, indes all die hübschen Sachen, die auf den Möbeln und den Etageren herumstanden, einen ersterbenden Duft ausströmten, wie ein nach dem Ball weggeworfener Blumenstrauß. Im Schlafzimmer traf sie Maxime zwischen zwei riesigen Koffern an, die der Kammerdiener mit einer wunderbaren kompletten Wäscheausstattung vollpackte – reich und köstlich wie für eine Braut.
    Als er sie erblickte, sprach er sie an und sagte sehr kühl und mit schroffer Stimme:
    »Ach, Sie sindʼs! Sie kommen gerade recht, da kann ich es mir sparen, Ihnen zu schreiben … Ich habe die Nase voll und verreise.«
    »Wie, Sie verreisen?«
    »Ja, heute abend noch, ich werde mich in Neapel niederlassen und dort den Winter verbringen.«
    Mit einer Handbewegung schickte er den Kammerdiener hinaus.
    »Glauben Sie denn, mir macht es Spaß, seit einem halben Jahr einen Vater in der Conciergerie zu haben? Ich werde doch nicht bleiben, um ihn vor der Strafkammer zu erleben … Wo ich das Reisen so verabscheue! Aber dort unten ist schönes Wetter, ich nehme nur das Notwendigste mit, vielleicht muß ich mich nicht allzusehr langweilen.«
    Sie schaute ihn an, wie er so korrekt, so hübsch vor ihr stand. Sie schaute auf die übervollen Koffer, wo kein Flitterkleid einer Gattin oder Geliebten zu sehen war, nur der Kult des eigenen Ichs. Und sie wagte dennoch, mit ihrem Anliegen

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