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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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herauszurücken.
    »Ich wollte Sie wieder einmal um eine Gefälligkeit bitten …«
    Dann erzählte sie die Geschichte von Victor, dem Banditen, der vergewaltigte und stahl, von Victor, der auf der Flucht war, zu allen Verbrechen fähig.
    »Wir dürfen ihn nicht im Stich lassen. Begleiten Sie mich, vereinen wir unsere Anstrengungen …«
    Er ließ sie nicht ausreden, er sah aschfahl aus, ein leises angstvolles Zittern befiel ihn, als fühlte er eine schmutzige Mörderhand auf seiner Schulter.
    »Natürlich, das fehlte gerade noch! Der Vater ein Dieb und der Bruder ein Mörder … Ich habe zu lange gezögert, ich wollte schon vergangene Woche abreisen. Abscheulich, einfach abscheulich, einen Mann wie mich in eine solche Lage zu bringen!«
    Als sie dann beharrte, wurde er unverschämt.
    »Lassen Sie mich in Ruhe, Sie! Wenn es Ihnen Spaß macht, dieses kummervolle Leben, so bleiben Sie ruhig dabei. Ich hatte Sie gewarnt, es geschieht Ihnen nur recht, wenn Sie jetzt weinen müssen … Aber ich, sehen Sie, ehe ich auch nur ein Haar lasse, fege lieber dieses ganze gemeine Gesindel in die Gosse.«
    Sie hatte sich erhoben.
    »Also leben Sie wohl!«
    »Leben Sie wohl!«
    Und während sie sich zurückzog, sah sie, wie er den Kammerdiener zurückrief und dem sorgfältigen Verpacken seines Toilettennecessaires beiwohnte, ein Necessaire, dessen sämtliche Stücke aus vergoldetem Silber und sehr fein gearbeitet waren, vor allem die kleine Waschschüssel mit dem eingravierten Amorettenreigen. Während dieser ging, um unter der hellen Sonne Neapels im Vergessen und im Müßiggang zu leben, stieg plötzlich das Bild des Bruders vor ihr auf, wie er an einem trüben Tauwetterabend, ausgehungert, ein Messer in der Faust, in La Villette oder Charonne durch irgendein abgelegenes Gäßchen schlich. War das nicht die Antwort auf jene Frage, ob Geld nicht schlechthin Erziehung, Gesundheit und Intelligenz bedeute? Wenn unter aller Kultur der gleiche menschliche Schmutz verborgen war, bestand dann vielleicht die ganze Zivilisation in dem einzigen Vorzug, daß man gut riecht und gut lebt?
    Als Frau Caroline im »Werk der Arbeit« ankam, empfand sie ein eigenartiges Gefühl der Empörung über den ungeheuren Luxus dieser Anstalt. Diese beiden majestätischen Flügel, das Heim für Knaben und das Heim für Mädchen, die durch das monumentale Verwaltungsgebäude miteinander verbunden waren; die parkähnlichen großen Innenhöfe, die Fayencen in den Küchen, der Marmor in den Speisesälen, die Treppen und Korridore, weitläufig wie in einem Palast – wozu war diese ganze grandiose Mildtätigkeit gut, wenn es in diesem weiträumigen, sauberen Milieu nicht möglich war, ein mißratenes Wesen zu bessern, aus einem entarteten Kind einen gesunden Menschen mit einem gesunden Verstand zu machen? Sogleich begab sie sich zum Direktor, bestürmte ihn mit Fragen und wollte alle Einzelheiten wissen. Aber das Drama blieb in Dunkel gehüllt, er konnte ihr nur wiederholen, was sie bereits von der Fürstin erfahren hatte. Seit dem Vortag waren die Nachforschungen im Haus und in der Umgebung fortgesetzt worden, ohne das geringste Ergebnis. Victor war bereits weit fort, galoppierte in der Tiefe des erschreckenden Unbekannten durch die Stadt. Er mußte ohne Geld sein, denn Alices Portemonnaie, das er geleert hatte, enthielt nur drei Francs und vier Sous. Der Direktor hatte übrigens vermieden, die Polizei mit der Sache zu befassen, um der armen Gräfin Beauvilliers und ihrer Tochter den öffentlichen Skandal zu ersparen; Frau Caroline dankte ihm dafür, und trotz ihres glühenden Wunsches, mehr zu erfahren, versprach sie, selber auch keine Schritte bei der Präfektur zu unternehmen. In ihrer Verzweiflung, so unwissend gehen zu müssen, wie sie gekommen war, verfiel sie dann auf den Gedanken, auf der Krankenstation die Schwestern zu befragen. Aber sie bekam auch von ihnen keine genaue Auskunft, sie genoß nur oben in dem ruhigen kleinen Raum, der das Krankenzimmer der Mädchen von dem der Knaben trennte, einige Minuten tiefen Friedens. Ein fröhlicher Lärm stieg herauf, es war die Zeit der Pause, und sie fühlte, daß sie die glücklichen Heilungen, die durch frische Luft, Wohlbefinden und Arbeit erzielt worden waren, ungerecht beurteilte. Hier wuchsen eben doch gesunde und kräftige Menschen auf. Ein Bandit auf vier oder fünf Zöglinge von durchschnittlicher Ehrlichkeit, wie schön wäre das noch bei den Zufällen, die die ererbten Fehler verschlimmern oder

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