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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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lassen, die auf ihm lastete. Für jede kleine Ungesetzlichkeit, die begangen worden war, sollte er einstehen, nie würde man gelten lassen, daß er auch nur von einer einzigen keine Kenntnis hatte, Saccard zog ihn in eine entehrende Mitschuld hinein. In dieser Situation verdankte er seinem ein wenig einfältigen Glauben eines eifrigen Katholiken eine Ergebenheit und Seelenruhe, die seine Schwester in Staunen versetzten. Wenn sie von draußen kam, von ihren angstvollen Laufereien, von der in ihrer Freiheit so unruhigen, so hartherzigen Menschheit, war sie betroffen, ihn friedfertig lächeln zu sehen, in seiner kahlen Zelle, wo er als großes frommes Kind vier grellfarbige Heiligenbilder um ein kleines Kruzifix aus schwarzem Holz befestigt hatte. Wer sich in Gottes Hand begibt, kennt keine Auflehnung mehr, jedes unverdiente Leiden ist ein Unterpfand des Heils. Die einzige Betrübnis verursachte ihm bisweilen der verhängnisvolle Stillstand seiner großen Arbeiten. Wer sollte sein Werk weiterführen, wer die Wiedererweckung des Orients fortsetzen, die mit der Allgemeinen Gesellschaft der vereinigten Dampfschiffahrtslinien und der Silberbergwerksgesellschaft des Karmel so glücklich begonnen worden war? Wer sollte die Eisenbahnen von Brussa nach Beirut und Damaskus, von Smyrna nach Trapezunt bauen, damit neues Blut in den Adern der alten Welt zirkulieren könnte? Dort übrigens, glaubte er und sprach es aus, könne das in Angriff genommene Werk nicht untergehen; er empfand nur Schmerz darüber, nicht mehr derjenige zu sein, den der Himmel erwählt hatte, es auszuführen. Die Stimme versagte ihm, sobald er sich fragte, für welche Sünde Gott ihn strafen wolle, wenn er ihm nicht erlaubt hatte, die große katholische Bank ins Leben zu rufen, jene Bank zum Heiligen Grab, die die moderne Gesellschaft umwandeln, dem Papst ein Königreich zurückgeben und schließlich aus allen Völkern eine einzige Nation machen sollte … Er prophezeite auch, daß diese Bank kommen werde, unausbleiblich, unbesiegbar; er sagte voraus, daß der Gerechte mit den reinen Händen sie eines Tages gründen werde. Und wenn er an diesem Nachmittag bekümmert schien, so lediglich deshalb, weil er in seinem Gleichmut eines Angeklagten, den man schuldig sprechen wollte, daran gedacht hatte, daß nach der Entlassung aus dem Gefängnis seine Hände nie mehr rein genug sein würden, die große Arbeit wiederaufzunehmen.
    Mit halbem Ohr hörte er zu, wie seine Schwester ihm erklärte, daß nach den Zeitungen die öffentliche Meinung wieder ein wenig günstiger über ihn urteilte. Während er sie mit traumwandlerischem Blick ansah, fragte er plötzlich ohne Übergang:
    »Warum weigerst du dich, ihn zu sehen?«
    Sie bebte, sie verstand sehr wohl, daß er von Saccard sprach. Sie schüttelte den Kopf, nein und nochmals nein. Da überwand er sich und sagte befangen, mit ganz leiser Stimme:
    »Nach allem, was er dir gewesen ist, darfst du dich nicht weigern. Geh ihn besuchen!«
    Mein Gott, er wußte also alles! Flammende Röte überzog ihr Antlitz, und sie warf sich in seine Arme, um ihr Gesicht zu verbergen. Stammelnd fragte sie, wer es ihm zu sagen gewagt, wie er erfahren hatte, was sie verborgen glaubte, verborgen gerade vor ihm.
    »Meine arme Caroline, das ist so lange her … Anonyme Briefe, schlechte Menschen, die uns beneideten … Ich habe nie mit dir darüber gesprochen, du bist frei, wir haben nicht mehr die gleichen Ansichten … Aber ich weiß, du bist die beste Frau der Welt. Geh ihn besuchen.«
    Und gelöst fand er zu seinem Lächeln zurück, er nahm den kleinen Rosenstrauß, den er bereits hinter das Kruzifix gesteckt hatte, drückte ihn ihr in die Hand und fügte hinzu:
    »Da! Bring ihm diesen Strauß und sage ihm, daß auch ich ihm nicht mehr zürne.«
    Erschüttert über diese so barmherzige Zuneigung ihres Bruders, konnte Frau Caroline, die schreckliche Scham und köstliche Erleichterung zugleich empfand, nicht länger widerstehen. Ohnehin fühlte sie seit dem Morgen schon insgeheim die Notwendigkeit, Saccard besuchen zu müssen. Durfte sie denn versäumen, ihn von Victors Flucht, von dem entsetzlichen Vorfall, der sie noch am ganzen Leibe zittern ließ, in Kenntnis zu setzen? Vom ersten Tage an hatte er sie unter den Personen eintragen lassen, die er zu empfangen wünschte; sie brauchte nur ihren Namen zu nennen, und sogleich führte ein Wärter sie in die Zelle des Häftlings.
    Als sie eintrat, saß Saccard, mit dem Rücken zur Tür, an einem

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