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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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ihrer Hochzeit tragen würde, in den Abgrund werfen sollte. Und heiße Tränen stürzten ihr aus den Augen, rannen ihr über die Wangen in einem solch tragischen Schmerz, daß Léonie tief betroffen war; von Mitleid ergriffen, zog sie Busch am Gehrock, um ihn zum Aufbruch zu zwingen. Sie wollte fort, sie konnte es nicht länger ertragen, dieser armen alten Dame, die so gütig aussah, soviel Kummer zu bereiten. Busch verfolgte die Szene sehr kalt, er war jetzt sicher, alles wegschaffen zu können, da er aus seiner langen Erfahrung wußte, daß die Weinkrämpfe bei Frauen den Zusammenbruch des Willens ankündigen; und er wartete.
    Vielleicht hätte sich die gräßliche Szene in die Länge gezogen, wenn nicht in diesem Augenblick eine ferne, gedämpfte Stimme in Schluchzen ausgebrochen wäre. Alice rief aus der Tiefe des Alkovens:
    »Oh, Mama, sie töten mich! … Gib ihnen alles, sollen sie alles nehmen! … Oh, Mama, sie sollen gehen! Sie töten mich, sie töten mich!«
    Da vollführte die Gräfin eine verzweifelte Gebärde des Verzichts, eine Gebärde, mit der sie ihr Leben hingegeben hätte. Ihre Tochter hatte alles gehört, ihre  Tochter starb vor Scham. Und sie warf Busch den Schmuck hin, ließ ihm kaum die Zeit, den Schuldschein des Grafen auf den Tisch zu legen, stieß ihn hinaus, hinter der bereits verschwundenen Léonie her. Dann öffnete sie wieder den Alkoven und sank auf Alices Kopfkissen nieder. Beide waren am Ende ihrer Kraft, vollkommen erschöpft, und ihre Tränen flossen ineinander.
    Empört war Frau Caroline einen Augenblick versucht, sich einzumischen. Durfte sie zulassen, daß der Elende diese beiden armen Frauen so ausplünderte? Aber sie hatte die gemeine Geschichte mit angehört, und was sollte sie tun, um den Skandal zu vermeiden? Sie wußte, daß Busch der Mann war, seine Drohungen wahr zu machen. Sie selbst schämte sich vor ihm wegen der Geheimnisse, die es zwischen ihnen gab. Ach, wieviel Leid und wieviel Schmutz! Sie wurde verlegen; weshalb war sie überhaupt gekommen, wenn sie kein Wort zu sagen und nicht zu helfen wußte? Alle Sätze, die ihr auf der Zunge lagen, die Fragen, die einfachen Anspielungen auf das Drama vom Vortag schienen ihr verletzend und beschmutzend, sie konnte sie unmöglich aussprechen in Gegenwart des Opfers, das noch ganz verstört war und ob seiner Besudelung mit dem Tode rang. Überdies hätte jedwede Hilfe, die sie leistete, wie ein lächerliches Almosen erscheinen müssen, da sie ja selber ruiniert und ohnehin schon in großer Sorge um den Ausgang des Prozesses war. Mit Tränen in den Augen und offenen Armen trat sie schließlich näher, voll grenzenlosem Mitleid zitterte sie, zutiefst ergriffen, am ganzen Leibe.
    Diese beiden beklagenswerten, zusammengebrochenen, geschlagenen Geschöpfe dort in dem nüchternen Alkoven einer Mietswohnung waren nun alles, was blieb von dem alten Geschlecht der Beauvilliers, das einstmals so mächtig und selbstherrlich gewesen war. Es hatte Ländereien besessen, so groß wie ein Königreich, zwanzig Meilen der Loire hatten ihm gehört, Schlösser, Wiesen, Äcker und Wälder. Im Laufe der Jahrhunderte war dieser ungeheure Landbesitz nach und nach dahingegangen, und die Gräfin hatte in einem jener Stürme der modernen Spekulation, von der sie nichts verstand, das letzte Wrackstück durchgebracht: zunächst ihre zwanzigtausend Francs Ersparnisse, die sie Sou um Sou für ihre Tochter zurückgelegt hatte, dann die siebzigtausend Francs, die sie auf Les Aublets aufgenommen hatte, dann den ganzen Pachthof. Das Palais in der Rue Saint-Lazare würde nicht einmal ausreichen, die Gläubiger zu bezahlen. Ihr Sohn war, fern von ihr, ruhmlos gestorben. Die Tochter, geschändet, von einem Banditen besudelt, hatte man ihr nach Hause gebracht wie ein überfahrenes Kind, das man blutend und schmutzbedeckt von der Straße hochbringt. Die unlängst noch so vornehme, schlanke, hochgewachsene und schlohweiße Gräfin mit ihrem überlebten Gebaren war nur noch eine arme alte Frau, durch dieses Unheil vernichtet und gebrochen; Alice indessen, ohne Schönheit, ohne Jugend, mit ihrem häßlichen langen Hals, den das zerknitterte Hemd nicht verbergen konnte, hatte den Blick einer Irren, in dem der tödliche Schmerz um ihren letzten Stolz, ihre vergewaltigte Jungfräulichkeit, zu lesen war. Und immer noch schluchzten sie beide, schluchzten, als wollten sie nie mehr aufhören.
    Da sagte Frau Caroline kein einziges Wort, nahm einfach beide und drückte sie

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