Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
Stock innehatte, eine Frau von bewundernswertem Wuchs, Frau Caroline, wie man sie vertraulich nannte. Was ihn bei der ersten Begegnung vor allem betroffen gemacht hatte, war das prachtvolle weiße Haar, eine Königskrone aus weißen Haaren, die über der Stirn dieser noch jungen, kaum sechsunddreißigjährigen Frau so eigentümlich wirkten. Schon mit fünfundzwanzig Jahren war sie ganz weiß geworden. Die schwarz gebliebenen, sehr dichten Brauen bewahrten dem hermelinumrahmten Gesicht einen seltsamen Reiz von lebhafter Jugendlichkeit. Mit ihrem zu starken Kinn, der etwas zu großen Nase und dem breiten Mund, dessen volle Lippen sehr viel Güte verrieten, war sie nie eigentlich hübsch gewesen. Wohl aber milderte dieses weiße Vlies, dieser wehende Schnee aus feinen, seidigen Haaren ihren ein wenig harten Gesichtsausdruck und verlieh ihr den lächelnden Zauber einer Großmutter in der Frische und der Kraft einer schönen Geliebten. Sie war groß und kräftig und hatte einen freimütigen, sehr edlen Gang.
    Sooft Saccard, der kleiner war als sie, ihr begegnete, folgte er ihr interessiert mit den Augen und war insgeheim neidisch auf diese hohe, vor Gesundheit strotzende Gestalt. Und nach und nach erfuhr er von den Leuten aus der Gegend die ganze Geschichte der Hamelins. Caroline und Georges waren die Kinder eines Arztes aus Montpellier, eines bedeutenden Gelehrten und überspannten Katholiken, der ohne Vermögen gestorben war. Als der Vater aus dem Leben schied, waren das Mädchen achtzehn und der Junge neunzehn Jahre alt; und da Georges gerade in die Ecole polytechnique40 aufgenommen worden war, folgte ihm Caroline nach Paris, wo sie als Erzieherin in Dienst trat Sie steckte ihm Hundertsousstücke zu, sie versorgte ihn während der zwei Studienjahre mit Taschengeld; als er später wegen seines schlechten Zeugnisses ohne Arbeit war, unterstützte sie ihn wiederum, bis er eine Anstellung fand. Die beiden Geschwister beteten einander an und träumten davon, einander nie zu verlassen. Als sich jedoch eine unverhoffte Heirat bot – das feine Benehmen und der lebhafte Verstand des jungen Mädchens hatten in dem Haus, wo sie in Stellung war, einen millionenschweren Brauer erobert –, wollte Georges, daß sie einwilligte; er mußte es aber bitter bereuen, denn nach wenigen Ehejahren war Caroline gezwungen, eine Trennung zu verlangen, wenn sie nicht von ihrem Gatten, der ein Trinker war und sie in unsinnigen Eifersuchtsanfällen mit einem Messer bedrohte, umgebracht werden wollte. Sie war damals sechsundzwanzig Jahre alt und wieder arm geworden, da sie es sich in den Kopf gesetzt hatte, keinen Unterhalt von dem Mann zu fordern, den sie verließ. Aber ihr Bruder hatte endlich nach sehr vielen Versuchen eine Aufgabe gefunden, die ihm gefiel: er sollte mit der Kommission, die mit den ersten Vorarbeiten für den Suezkanal beauftragt war, nach Ägypten gehen, und er nahm seine Schwester mit; sie richtete sich tapfer in Alexandria ein und begann wieder Stunden zu geben, während er durch das Land zog. So blieben sie bis 1859 in Ägypten und waren bei den ersten Spatenstichen am Strand von Port Said dabei: ein kümmerlicher Trupp von knapp hundertfünfzig Erdarbeitern, der sich im Sand verlor und von einer Handvoll Ingenieure angeleitet wurde. Dann schickte man Hamelin nach Syrien, wo er Lebensmittel beschaffen sollte, und nach einem Streit mit seinen Vorgesetzten blieb er dort. Er ließ Caroline nach Beirut kommen, wo neue Schüler sie erwarteten, und stürzte sich in ein großes Unternehmen, das von einer französischen Gesellschaft gefördert wurde; es ging um die Trasse einer befahrbaren Straße von Beirut nach Damaskus, den ersten und einzigen Weg, der durch die Schluchten des Libanon führte. Sie blieben dort noch drei Jahre bis zur Fertigstellung der Straße; er besichtigte die Berge, unternahm eine zweimonatige Reise über den Taurus nach Konstantinopel, sie folgte ihm, sobald sie loskommen konnte, und machte sich seine Projekte zu eigen, dieses alte Land wiederzuerwecken, das unter der Asche der toten Kulturen schlummerte. Er hatte eine ganze Mappe gefüllt, die von Ideen und Plänen überquoll, und er verspürte die gebieterische Notwendigkeit, nach Frankreich zurückzukehren, wenn er diesen umfangreichen Unternehmungen Gestalt verleihen, Gesellschaften gründen und Kapital finden wollte. So kehrten sie nach neun Jahren Aufenthalt im Orient zurück. Aus Neugier reisten sie über Ägypten, wo die Arbeiten am Suezkanal sie

Weitere Kostenlose Bücher