Das Geld - 18
Gebirge, die Dörfer der Maroniten45 und Drusen46 auf den Hochebenen und in der Tiefe der Schluchten, die bebauten Äcker und die ausgedörrten Felder. Und aus den entlegensten Winkeln, den stummen Einöden wie aus den Großstädten hatte sie die gleiche Bewunderung für die unerschöpfliche, die üppig wuchernde Natur und den gleichen Zorn auf die stumpfsinnigen, bösen Menschen mitgebracht. Wie viele Reichtümer der Natur wurden hier verschmäht oder verschleudert! Sie sprach von den Lasten, die Handel und Industrie zum Erliegen bringen, von diesem schwachsinnigen Gesetz, welches verbietet, in der Landwirtschaft Kapital über eine bestimmte Höhe hinaus zu investieren, und vom althergebrachten Schlendrian, der in den Händen des Bauern den Pflug beläßt, dessen man sich schon vor Christi Geburt bediente, und von der Unwissenheit, in der diese Millionen Menschen noch heute verkommen, gleich idiotischen, in ihrem Wachstum zurückgebliebenen Kindern. Früher war die Küste zu klein, die Städte berührten einander; jetzt hat sich das Leben ins Abendland verzogen, es scheint, als ginge man über einen ungeheuren verlassenen Friedhof. Keine Schulen, keine Straßen, die übelsten Regierungen, eine bestechliche Justiz, ein abscheuliches Verwaltungspersonal, allzu drückende Steuern, absurde Gesetze, Faulheit, Fanatismus, ganz zu schweigen von den ständigen Erschütterungen durch Bürgerkriege und Blutbäder, die ganze Dörfer ausrotten. Da wurde sie böse und fragte, ob es erlaubt sei, das Werk der Natur so zu verderben, ein gesegnetes Land von bestrickendem Reiz so zugrunde zu richten, ein Land, in dem alle Klimazonen anzutreffen waren, die glühenden Ebenen, die gemäßigten Hänge der Gebirge, der ewige Schnee auf den hohen Gipfeln. Und ihre Liebe zum Leben, ihre lebhafte Hoffnung versetzten sie in Glut bei dem Gedanken an den allmächtigen Zauberstab, mit dem die Wissenschaft und die Spekulation an diese alte, schlummernde Erde rühren konnten, um sie aufzuwecken.
»Warten Sie ab!« rief Saccard. »Diese Schlucht im Karmel, die Sie da gezeichnet haben, wo es nur Steine und Mastixsträucher gibt – sobald das Silbererzvorkommen abgebaut wird, wächst dort zunächst ein Dorf, dann eine Stadt empor … Wir werden die versandeten Häfen freilegen und durch starke Molen schützen. Schiffe mit großem Tiefgang werden da anlegen, wo heute nicht mal Boote vor Anker zu gehen wagen … Und in den entvölkerten Ebenen, auf den öden Pässen, die unsere Eisenbahnlinien überqueren sollen, werden Sie eine richtige Auferstehung erleben. Ja, Sie sollen sehen, wie die Felder urbar gemacht werden, wie Straßen und Kanäle entstehen, neue Städte aus dem Boden wachsen, wie das Leben endlich zurückkehrt wie in einen kranken Körper, dem man neues Blut zuführt. Ja, das Geld wird diese Wunder vollbringen!«
Und beim beschwörenden Klang dieser durchdringenden Stimme sah Frau Caroline die vorausgesagte Zivilisation wirklich anbrechen. Die nüchternen Zeichnungen, die geometrischen Umrisse nahmen Leben an, bevölkerten sich; das war ihr Wunschtraum von einem Orient, der von seinem Schmutz befreit, aus seiner Unwissenheit gerissen war, der mittels aller Erleichterungen der Wissenschaft den fruchtbaren Boden und das herrliche Klima nutzen konnte. Schon einmal hatte sie dem Wunder beigewohnt, diesem Port Said, das in so wenigen Jahren auf einem kahlen Strand emporgewachsen war – zuerst nur Hütten, die den wenigen Arbeitern der ersten Stunde Obdach gewährten, dann eine Stadt mit zweitausend Seelen, eine Stadt mit zehntausend Seelen, Häuser, riesige Kaufhäuser, ein gigantischer Hafendamm, lebhaftes Treiben und Wohlstand, von menschlichen Ameisen in ihrem Starrsinn geschaffen. Und das war es, was sie erneut vor Augen sah, den unaufhaltsamen Vormarsch, das Drängen des Volkes nach dem größtmöglichen Glück, das Bedürfnis zu handeln, vorwärtszugehen, ohne genau zu wissen wohin, doch unbeschwerter, unter besseren Bedingungen vorwärtszugehen; sie sah den Erdball umgewühlt von dem Ameisenhaufen, der seine Behausung erneuert, und sie sah die fortwährende Arbeit, die Eroberung neuer Genüsse, die verzehnfachte Macht des Menschen, die Erde, die ihm von Tag zu Tag mehr gehört. Das Geld bewirkte diesen Fortschritt, indem es der Wissenschaft half.
Hamelin, der lächelnd zuhörte, ließ nun ein weises Wort fallen.
»All das ist die Poesie der Ergebnisse, aber wir sind noch nicht einmal bei der Prosa des Anfangs.«
Doch Saccard geriet
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