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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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nach einem Mann, der sie lieben würde, nach Glück; doch weil sie die Familie nicht noch mehr betrüben wollte, tat sie so, als hätte sie auf alles verzichtet, machte sich über die Ehe lustig und sagte, daß sie berufen sei, eine alte Jungfer zu werden. Nachts aber schluchzte sie in ihr Kopfkissen und glaubte vor Schmerz über ihr Alleinsein sterben zu müssen. Die Gräfin hatte es durch die Wunder ihres Geizes immerhin geschafft, zwanzigtausend Francs beiseite zu legen, Alices ganze Mitgift; desgleichen hatte sie aus dem Schiffbruch einige Schmuckstücke gerettet, ein Armband, Fingerringe und Ohrringe, die etwa zehntausend Francs wert waren – eine sehr magere Mitgift, ein Brautgeschenk, von dem sie nicht einmal zu sprechen wagte, da es kaum für die ersten Ausgaben langen würde, wenn der erwartete Ehemann vorstellig werden sollte. Und doch wollte sie nicht verzweifeln, sondern kämpfte weiter, gab keines der Vorrechte ihrer Geburt auf, war noch immer vornehm und angemessen reich und hielt es für unter ihrer Würde, zu Fuß auszugehen oder am Empfangsabend ein Zwischengericht weniger zu reichen. Dafür knauserte sie in ihrem verborgenen Leben, verurteilte sich wochenlang dazu, Kartoffeln ohne Butter zu essen, um der doch nie ausreichenden Mitgift der Tochter fünfzig Francs hinzuzufügen. Tagtäglich erlegte sie sich diesen schmerzlichen und kindischen Heldenmut auf, während über ihren Köpfen das Haus von Tag zu Tag immer mehr verfiel.
    Indessen hatte Frau Caroline bis dahin noch keine Gelegenheit gefunden, mit der Gräfin und ihrer Tochter zu sprechen. Mittlerweile kannte sie die intimsten Einzelheiten aus ihrem Leben, Einzelheiten, die die Beauvilliers vor der ganzen Welt verborgen glaubten, doch sie hatten bislang nur Blicke getauscht, Blicke, die sich unbewußt in ein plötzliches Gefühl der Zuneigung verwandeln können. Die Fürstin dʼOrviedo sollte sie einander näherbringen. Sie war auf den Gedanken gekommen, für ihr »Werk der Arbeit« eine Art Aufsichtskommission aus zehn Damen zu bilden, die wöchentlich zweimal zusammenkamen, das »Werk« eingehend in Augenschein nahmen und alle Abteilungen kontrollierten. Da sie sich vorbehielt, diese Damen selbst auszuwählen, hatte sie als eine der ersten Madame de Beauvilliers benannt, die früher eine ihrer besten Freundinnen gewesen und heute, da sie zurückgezogen lebte, einfach ihre Nachbarin geworden war. Und als die Aufsichtskommission plötzlich ohne Sekretärin war, hatte Saccard, der bei der Verwaltung des Hauses das große Wort führte, den Einfall, Frau Caroline als eine Mustersekretärin zu empfehlen, wie man sie nirgendwo anders finden könne. In der Tat war die Arbeit ziemlich mühselig, es gab viel Schreibereien, und man mußte manchmal sogar mit Hand anlegen, was diesen Damen ein wenig zuwider war; aber von Anfang an offenbarte sich Frau Caroline als eine bewundernswerte Hausmutter; ihre unbefriedigte Mutterschaft, ihre übermäßige Kinderliebe entfachten in ihr eine lebhafte Zärtlichkeit für alle diese armen Wesen, die man aus der Pariser Gosse zu retten versuchte. So war sie bei der letzten Kommissionssitzung der Gräfin Beauvilliers begegnet; die Gräfin hatte aber nur einen ziemlich kühlen Gruß an sie gerichtet, um ihre heimliche Verlegenheit zu verbergen, denn zweifellos spürte sie, daß sie in ihr eine Zeugin ihres Elends vor sich hatte. Jetzt grüßten sich beide, sooft ihre Augen sich trafen und es eine zu große Unhöflichkeit gewesen wäre, so zu tun, als kennte man sich nicht.
    Eines Tages beobachtete Frau Caroline wie gewöhnlich vom Fenster des großen Arbeitszimmers aus die Gräfin und deren Tochter bei ihrem Gang durch den Garten, während Hamelin einen Plan nach neuen Berechnungen berichtigte und Saccard daneben stand und ihm bei der Arbeit zusah. An jenem Morgen entdeckte sie an den Füßen der beiden Frauen Schuhe, die so abgetragen waren, daß nicht einmal eine Lumpensammlerin sie von der Straße aufgelesen hätte.
    »Ach, die armen Frauen!« murmelte sie. »Wie schrecklich muß diese Komödie des Luxus sein, die sie meinen spielen zu müssen!«
    Und sie trat zurück, verbarg sich hinter dem Vorhang, aus Furcht, die Mutter könnte sie bemerken und noch mehr darunter leiden, so belauert zu werden. Sie selbst hatte sich in den drei Wochen, die sie allmorgendlich an diesem Fenster verbrachte, beruhigt. Der große Kummer über ihre Verlassenheit schwand; es war, als ließe sie der Anblick des Unglücks anderer ihr

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