Das Geld - 18
dieser verstanden hatte.
»Wahrhaftig, mein Lieber, sie ist sehr nett. Aber Sie machen sich keine Vorstellung von dieser Raffgier … Ach, wie würden uns die Kunden lieben, wenn sie immer gewinnen könnten! Und je reicher sie sind, je mehr sie zur guten Gesellschaft gehören, Gott verzeih mir! desto mehr mißtraue ich ihnen, desto mehr zittere ich, nicht bezahlt zu werden … Ja, es gibt Tage, wo ich, abgesehen von den großen Firmen, lieber nur Provinzkundschaft hätte.«
Die Tür wurde erneut geöffnet, ein Angestellter übergab Mazaud eine Akte, die er am Morgen verlangt hatte, und ging wieder hinaus.
»Sehen Sie, das trifft sich gut! Hier ist ein Kuponeinnehmer, der sich in Vendôme niedergelassen hat, ein Herr Fayeux … Sie können sich nicht vorstellen, wieviel Orders ich von diesem Korrespondenten bekomme. Gewiß, diese Orders sind von wenig Belang, sie kommen von Kleinbürgern, kleinen Händlern und Pächtern. Aber die Anzahl macht es … Unsere besten Kunden, die Stütze unserer Firmen sind tatsächlich die bescheidenen Spekulanten, die namenlose Menge, die spekuliert.«
In diesem Zusammenhang mußte Saccard an Sabatani denken, den er am Kassenschalter gesehen hatte.
»Sie haben jetzt also Sabatani?« fragte er.
»Seit einem Jahr, glaube ich«, antwortete der Makler mit dem Ausdruck liebenswürdiger Gleichgültigkeit. »Das ist ein netter Bursche, nicht wahr? Er hat klein angefangen und ist sehr vorsichtig, aus ihm wird einmal etwas werden.«
Was er nicht sagte, woran er sich nicht einmal mehr erinnerte, war, daß Sabatani bei ihm nur eine Deckung von zweitausend Francs hinterlegt hatte. Daher das anfänglich so gemäßigte Spekulieren. Ohne Frage hoffte der Levantiner wie so viele andere, daß die geringe Summe dieser Garantie in Vergessenheit geriete, und er lieferte Beweise von Klugheit, erhöhte nur stufenweise den Umfang seiner Orders, während er auf den Tag wartete, an dem er bei einer großen Liquidation Pleite machen und verschwinden würde. Wie sollte man auch Mißtrauen zeigen gegenüber einem so reizenden Jungen, mit dem man sich angefreundet hat? Wie sollte man an seiner Zahlungsfähigkeit zweifeln, wenn man ihn so fröhlich sah, offensichtlich reich und in jenem eleganten Aufzug, der unerläßlich, gleichsam die Uniform des Börsendiebstahls ist?
»Sehr nett, sehr intelligent«, wiederholte Saccard, der plötzlich den Beschluß faßte, an Sabatani zu denken, wenn er eines Tages einen verschwiegenen Burschen ohne Gewissensbisse brauchen sollte.
Dann stand er auf und verabschiedete sich.
»Also leben Sie wohl! Wenn unsere Aktien fertig sind, komme ich wieder zu Ihnen, bevor ich versuche, sie auf dem Kurszettel unterzubringen.«
Mazaud, in der Tür zum Arbeitszimmer stehend, drückte ihm die Hand und sagte:
»Sie haben unrecht, Sie sollten doch Gundermann besuchen wegen Ihres Konsortiums.«
»Niemals!« schrie er erneut mit wütendem Gesichtsausdruck.
Als er endlich ging, erblickte er vor dem Kassenschalter Moser und Pillerault. Der eine machte ein grämliches Gesicht und steckte seinen Gewinn vom Medio60 in die Tasche, sieben oder acht Tausendfrancsscheine, während der andere, der verloren hatte, wie nach einem Sieg laut lärmend mit angriffslustiger und stolzer Miene an die zehntausend Francs bezahlte. Die Stunde des Mittagessens und der Börse nahte, das Maklerbüro leerte sich zum Teil; und da die Tür zum Liquidationsbüro halb offenstand, konnte man hören, wie darin gelacht wurde und wie Gustave Flory von einer Bootsfahrt erzählte, bei der das am Steuer sitzende Mädchen in die Seine gefallen war und alles, sogar seine Strümpfe, verloren hatte.
Auf der Straße schaute Saccard auf seine Uhr. Elf Uhr, wieviel Zeit er vertan hatte! Nein, er würde nicht zu Daigremont gehen; und obwohl er allein schon bei Gundermanns Namen aufgebraust war, entschloß er sich plötzlich, zu ihm hinaufzugehen. Hatte er ihn nicht schon bei Champeaux auf seinen Besuch vorbereitet, als er ihm sein großes Geschäft ankündigte, um ihm für sein boshaftes Lachen eins auszuwischen? Er ließ sogar als Entschuldigung gelten, daß er nichts aus ihm herausschlagen wollte, sondern nur den Wunsch hatte, diesem Mann, der ihn mit Vorliebe als kleinen Jungen behandelte, die Stirn zu bieten und über ihn zu triumphieren. Und da ein neuer Regenschauer wie ein rauschender Strom auf das Pflaster klatschte, sprang er in eine Droschke und rief dem Kutscher die Adresse zu, Rue de Provence.
Dort bewohnte
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