Das Geld - 18
Bittstellern, Männern und Frauen, ein ganzes lärmendes Gewimmel von Leuten. Vor allem die Remisiers kämpften darum, als erste vorgelassen zu werden, in der unwahrscheinlichen Hoffnung, daß sie eine Order ergattern könnten; denn der große Bankier hatte seine eigenen Makler. Aber es war schon eine Ehre, eine Empfehlung, nur empfangen zu werden, und jeder wollte sich dessen rühmen können. Daher mußte man nie lange warten, die beiden Bürodiener waren fast nur damit beschäftigt, den Vorbeimarsch zu organisieren, einen unaufhörlichen Vorbeimarsch, einen förmlichen Galopp durch die Flügeltüren. Und trotz der Menge wurde Saccard beinahe sofort mit der Welle hineingespült.
Gundermanns Arbeitszimmer war ein riesiger Raum, von dem er nur eine kleine Ecke im Hintergrund am letzten Fenster in Anspruch nahm. Vor einem einfachen Mahagonischreibtisch saß er so, daß er dem Licht den Rücken zukehrte und sein Gesicht völlig im Schatten lag. Er stand schon um fünf Uhr morgens auf und war bei der Arbeit, wenn Paris noch schlief; wenn gegen neun Uhr das Gedränge der Begierden über ihn herfiel und an ihm vorbeigaloppierte, war sein Tagewerk schon vollbracht. In der Mitte des Arbeitszimmers, an größeren Schreibtischen, halfen ihm zwei seiner Söhne und ein Schwiegersohn, die nur selten zum Sitzen kamen und in dem Kommen und Gehen einer Unzahl von Angestellten ständig in Bewegung waren. Hier spielte sich der innere Betrieb des Hauses ab. Die Besucher von draußen dagegen durchquerten den ganzen Raum und wandten sich nur an Gundermann, den unumschränkten Herrn in seiner bescheidenen Ecke. Stundenlang bis zum Mittagessen empfing er so mit unbewegter und düsterer Miene und fertigte die Besucher mit einem Zeichen, bisweilen mit einem Wort ab, wenn er sich ganz besonders liebenswürdig zeigen wollte.
Sobald Gundermann Saccard bemerkte, erhellte ein mattes spöttisches Lächeln sein Gesicht.
»Ach, Sie sind es, mein lieber Freund … Nehmen Sie doch einen Augenblick Platz, wenn Sie mir etwas zu sagen haben. Ich stehe Ihnen sofort zur Verfügung.«
Dann tat er so, als hätte er ihn vergessen. Saccard wurde übrigens nicht ungeduldig, denn der Vorbeimarsch der Remisiers interessierte ihn; in dichter Folge traten sie ein, mit der gleichen tiefen Verbeugung, zogen aus ihrem Gehrock die gleiche kleine Karte, ihren Kurszettel mit Börsenkursen, und überreichten sie dem Bankier mit der gleichen unterwürfigen und respektvollen Gebärde. Zehn, zwanzig zogen so vorüber. Der Bankier nahm jedesmal den Kurszettel, warf einen Blick darauf, gab ihn dann zurück; und seine Geduld war ebenso groß wie seine völlige Gleichgültigkeit unter diesem Hagel von Angeboten.
Doch jetzt ließ sich Massias mit dem fröhlichen und unruhigen Ausdruck eines verprügelten gutmütigen Hundes sehen. Man empfing ihn manchmal so schlecht, daß er dem Weinen nahe war. An jenem Tag war er zweifellos mit seiner Demut am Ende, denn er erlaubte sich eine unerwartete dringende Bitte.
»Sehen Sie doch, Herr Gundermann, der Crédit Mobilier steht sehr niedrig … Wieviel soll ich davon für Sie kaufen?«
Ohne den Kurszettel zu nehmen, schlug Gundermann die meergrünen Augen zu diesem so vertraulichen jungen Mann auf und versetzte grob:
»Sagen Sie mal, lieber Freund, denken Sie, mir macht es Spaß, Sie zu empfangen?«
»Mein Gott, Herr Gundermann!« erwiderte Massias, der bleich geworden war. »Mir macht es noch weniger Spaß, seit drei Monaten jeden Morgen umsonst zu kommen.«
»Na schön! Sie brauchen ja nicht wiederzukommen!«
Der Remisier grüßte und zog sich zurück, nachdem er Saccard den wütenden und tief betrübten Blick eines Mannes zugeworfen hatte, dem plötzlich zu Bewußtsein kam, daß er nie sein Glück machen würde.
Saccard fragte sich in der Tat, was für ein Interesse Gundermann daran haben mochte, all diese Leute zu empfangen. Offenbar besaß er eine besondere Fähigkeit zur Abkapselung, er versenkte sich in sich selbst und konnte dabei weiter nachdenken; außerdem gehörte natürlich eiserne Selbstbeherrschung dazu, so jeden Morgen eine Marktschau vorzunehmen, bei der er immer einen Gewinn zu machen verstand, und wenn er noch so winzig war. In sehr scharfem Ton handelte er einem Kulissenmakler, dem er am Vorabend eine Order erteilt hatte und der ihn übrigens bestahl, achtzig Francs ab. Dann kam ein Raritätenhändler mit einem Kästchen in emailliertem Gold aus dem achtzehnten Jahrhundert, einem teilweise ausgebesserten
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