Das Geld - 18
Ich bitte Sie, Frau Caroline, sagen Sie diesem guten Herrn, daß keine Stunde meines Lebens vergeht, ohne daß ich ihn segne.«
Schluchzen erstickte ihre Stimme, das Herz schmolz ihr vor Dankbarkeit. Sie sprach von Saccard, denn ihn allein kannte sie, wie die meisten Eltern, die Kinder im »Werk der Arbeit« hatten. Die Fürstin dʼOrviedo zeigte sich nie; er dagegen hatte sich lange Zeit überall sehen lassen, hatte das Haus bevölkert und alles Elend aus der Gosse aufgelesen, um diese barmherzige Maschine, die auch ein wenig seine Schöpfung war, schneller arbeiten zu sehen; im übrigen war er wie immer in Begeisterung geraten und hatte aus eigener Tasche Hundertsousstücke an die unglücklichen Familien verteilt, deren Kinder er rettete. So war er für alle diese Elenden der einzige und wahre liebe Gott.
»Nicht wahr, Frau Caroline, Sie sagen ihm, daß es irgendwo eine arme Frau gibt, die für ihn betet … Oh, nicht daß ich fromm wäre, ich will nicht lügen, und ich bin nie eine Heuchlerin gewesen. Nein, mit der Kirche haben wir nichts mehr zu tun, wir denken überhaupt nicht mehr daran, denn es brachte nichts ein, dort seine Zeit zu verlieren … Aber trotzdem gibt es irgend etwas über uns, und wenn jemand gut gewesen ist, tut es einem wohl, den Segen des Himmels für ihn zu erbitten.«
Ihre Tränen nahmen kein Ende und liefen ihr über die welken Wangen.
»Hör mir zu, Madeleine, hör zu …«
Das Mädchen, das in seinem schneeweißen Hemd so blaß aussah und mit glückstrahlenden Augen genießerisch mit der Zungenspitze an der Marmelade leckte, hob aufmerksam den Kopf, ohne sich beim Schmausen stören zu lassen.
»Jeden Abend, bevor du in deinem Bett einschläfst, faltest du so die Hände und sagst: ›Lieber Gott, gib, daß Herr Saccard für seine Güte belohnt wird, daß er lange lebt und daß er glücklich ist …‹ Hörst du, versprichst du es mir?«
»Ja, Mama.«
Während der folgenden Wochen lebte Frau Caroline in großer seelischer Verwirrung. Sie wußte nicht mehr, was sie von Saccard halten sollte. Die Geschichte von Victors Geburt und Verwahrlosung, diese bedauernswerte Rosalie, die auf einer Treppenstufe so brutal vergewaltigt worden war, daß sie zeitlebens siech blieb, die unterschriebenen, aber nicht bezahlten Wechsel, das unglückliche Kind, das ohne Vater im Dreck aufgewachsen war – diese ganze beklagenswerte Vergangenheit drehte ihr das Herz im Leibe um. Sie schob die Bilder dieser Vergangenheit beiseite, so wie sie auch Maxime nicht hatte zu Indiskretionen herausfordern wollen: gewiß gab es da alte Flecken, die sie erschrecken und ihr großen Kummer bereiten würden. Dann war da diese in Tränen aufgelöste Frau, die ihrer kleinen Tochter die Hände faltete und sie für denselben Mann beten ließ; es gab also auch einen Saccard, der wie ein gütiger Gott verehrt wurde, der wirklich gut war, der tatsächlich Seelen gerettet hatte mit dem leidenschaftlichen Tatendrang eines Geschäftemachers und der sich zur Tugend aufschwang, wenn er eine schöne Aufgabe hatte. So kam sie zu dem Entschluß, nicht mehr über ihn richten zu wollen; um ihr Gewissen einer klugen Frau, die zuviel gelesen und zuviel nachgedacht hatte, zu beschwichtigen, sagte sie sich, daß er eben wie alle Menschen seine guten und schlechten Seiten habe.
Indessen war bei dem Gedanken, daß sie sich ihm hingegeben hatte, ein dumpfes Gefühl der Schande in ihr erwacht. Das machte ihr immer noch zu schaffen, aber sie beruhigte sich, indem sie sich schwor, daß das vorbei sei und eine solche Überlistung in einem schwachen Augenblick sich nicht wiederholen könne. Aber nach drei Monaten, in denen sie zweimal wöchentlich Victor besuchte, lag sie eines Abends wieder in Saccards Armen, war endgültig die Seine und ließ ein regelrechtes Verhältnis zu. Was also ging in ihr vor? War sie, wie die anderen, neugierig? Hatten seine früheren undurchsichtigen Liebschaften, die sie entdecken mußte, den sinnlichen Wunsch nach Gewißheit in ihr geweckt? Oder war nicht vielmehr das Kind zur Bindung geworden, zur schicksalhaften Annäherung zwischen ihm, dem Vater, und ihr, der Zufalls- und Adoptivmutter? Ja, nur das konnte die Ursache für ihre Gefühlsverirrung sein. Daß sie unter so erschütternden Umständen für den Sohn dieses Mannes sorgen mußte, hatte sie in ihrem großen Kummer über ihre Kinderlosigkeit offenbar zermürbt und ihre Willenskraft gebrochen. Sooft sie ihn wiedersah, verschenkte sie sich mehr, und der Grund
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