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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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finde es«, erwiderte Mayli lächelnd.
    »Aber nicht schöner als du!« rief Pansiao eifersüchtig.
    »Viel schöner«, sagte Mayli, die noch immer lächelte.
    »Ich habe sie einmal gesehen«, erzählte Siu-chen stolz. »Vor langer Zeit, noch vor dem Krieg, kam sie in unsere Schule und hielt uns einen Vortrag über Sauberkeit und das, was sie ›neues Leben‹ nannte. Sie war sehr schön, das stimmt. Ich erinnere mich, daß sie sich meine Hände ansah. Natürlich waren sie, wie immer im Winter, aufgesprungen. Und sie sprach mit der Vorsteherin und sagte, man solle eine ausländische Salbe für mich kaufen. Aber das geschah nie. Die Salbe war viel zu teuer.«
    Nachmittags waren alle zur Inspektion bereit. Mayli stand sehr aufrecht vor ihren aufgereihten jungen Frauen, als der Präsident und seine Gattin mit dem Amerikaner, einem schlanken, grauhaarigen Herrn, und dem General vorbeischritten. Alle salutierten, und alle trugen ernste Mienen zur Schau, während die vier Großen dahingingen. Die hohe Dame aber blieb stehen und sagte in ihrer ungekünstelten Art: »Ihr seht alle sehr schön aus; nie werdet ihr schöner aussehen als jetzt, da ihr bereit seid, eurem Vaterland zu dienen.« Und zu Mayli sagte sie: »Sind Sie glücklich?«
    »O ja«, erwiderte Mayli, ohne sich zu rühren.
    Noch immer zögerte die hohe Dame weiterzugehen. Sie legte ihre zarte Hand auf Maylis Ärmel und flüsterte: »Kommen Sie doch in einer halben Stunde zu mir.«
    Einige Frauen hörten dies, und sie erzählten es weiter. Die meisten beneideten Mayli, diejenigen, die sie liebten, auf freundliche Weise, andere weniger freundlich.
    Eine halbe Stunde später begab sich Mayli zu dem Haus, das als Hauptquartier diente, und hier hielt die hohe Dame sie fast eine Stunde zurück. Sie war allein, denn der Präsident hatte mit seinen Offizieren zu tun, und weil sie allein war, stellte sie Mayli freimütige und eindringliche Fragen.
    »Ich trug Ihnen auf, meine Augen und Ohren zu sein«, begann sie, »und mir alles mitzuteilen, was Sie zu sehen und zu hören bekommen.«
    Sie lauschte aufmerksam, während Mayli sprach; hin und wieder warf sie eine knappe Frage ein.
    Kurz vor Ablauf der Stunde legte sie die Hände auf die Augen und seufzte tief. Mayli wartete auf weitere Fragen, aber sie sagte nur: »Gehen Sie nun schlafen. Sie waren gewissenhafte Augen und Ohren, aber Sie haben mir schlimme Neuigkeiten berichtet, schlimmere, als Sie ahnen.«
    In diesem Moment kam der Präsident herein, und sobald er seine Frau gewahrte, rief er rasch: »Dir ist nicht wohl!«
    »Ja, wirklich, ich fühle mich krank«, sagte sie.
    Er beugte sich über sie und winkte Mayli mit der Hand.
    »Geht, geht«, befahl er. »Bittet den Arzt, sofort herzukommen.«
    Mayli war schon im Begriff davonzuhasten, als die hohe Dame heftig Einspruch erhob: »Nein, nimm mich nur heim. Laß uns sogleich heimkehren. Sorge dafür, daß das Flugzeug auf der Stelle startbereit gemacht wird.«
    Sie stand auf und ging umher, als litte sie Schmerzen. So gab der Präsident der Türwache Befehl, die Abreise vorzubereiten; Mayli verabschiedete sich.
    Kurz darauf hörten alle das Flugzeug über ihren Köpfen brummen. Nachdem es im Westen verschwunden war und Mayli ihre Frauen entlassen hatte, waren die Höfe noch lange voll Gelächter und Gerede. Man bewunderte diese beiden, die für die einfachen Mädchen mehr als nur Führer waren. Sie sahen in ihnen den Traum der Liebe zwischen Mann und Frau, einen Traum, der sich bei ihnen selbst vielleicht nie erfüllen würde.
    Sogar Mayli träumte an diesem Abend ein wenig; sie dachte mehr an Sheng als in der ganzen letzten Zeit. War der Präsident in seiner Jugend ungebildet und ungeschlacht gewesen? Sie rief sich, wie schon so oft, zurück, daß auch er der Sohn einfacher Leute war, daß er keine fremden Sprachen beherrschte, wenig belesen war, an Unbill und Arbeit gewöhnt. Es gab genügend Gerüchte, die von seiner unglücklichen Jugend erzählten. Nicht immer war er der ernste, eindrucksvolle Mann von heute gewesen. Sie seufzte und fragte sich, wo Sheng jetzt sein mochte. Sie verließ ihr Bett, ging zum Fenster und blickte zu dem Stückchen Sternenhimmel zwischen den Dächern auf. Ohne zu denken, gab sie sich ihren Empfindungen hin, und da fühlte sie ihn plötzlich sehr nahe.
    Und nicht sehr weit entfernt lag Sheng auf einem Strohlager in einer Baracke – einer in einer langen Reihe von Männern. Hinter den geschlossenen Lidern seiner Augen sah er ihr Antlitz.

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