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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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eigenen Volkes – die alten Dichtwerke und die alte Philosophie. Ich möchte meine Wurzeln finden.«
    Plötzlich fiel ihr ein, daß sie vielleicht niemals mehr Muße haben würde, denn sie konnte ja getötet werden; und sie weinte ein wenig in der Nacht, ganz im geheimen, die Hand auf den Mund gelegt, damit die Frauen, die rings um sie lagen, nichts hörten. Pansiao merkte es jedoch gleichwohl, denn das junge Mädchen hatte wie immer abgewartet, wo Mayli sich niederließ, um dann zu ihr zu kommen und seinen Strohsack neben ihr hinzulegen. Pansiao erwachte und lag eine Weile still da; dann streckte sie in der Dunkelheit ihre Hand aus und berührte Maylis Wange, die naß war. So sehr erschrak sie, daß sogar diese Angebetete weinen konnte, so sehr, daß sie gleichfalls in Tränen ausbrach. Mayli mußte sie scharf anfahren, wußte sie doch, daß nur Schärfe einem solchen unvernünftigen, ansteckenden Weinen Einhalt zu gebieten vermochte.
    Sogleich richtete sie sich auf, ergriff Pansiao an ihrem Zopf und schüttelte sie ein wenig. »Hör auf!« zischte sie. »Hör auf, oder ich strafe dich wie ein Kind!«
    Und Pansiao, entsetzt über die Heftigkeit der geliebten Stimme, hörte auf zu weinen.
    Mayli war von ihrem eigenen Kummer geheilt und legte sich wieder hin.
    »Was gibt es anderes für mich«, dachte sie, »als nur die Pflicht, die ich klar vor mir sehe?«

14
    In dieser Stimmung erhoben sich alle Männer und Frauen am nächsten Morgen lange vor Tagesanbruch. Sie aßen ihre kalten Rationen, sammelten sich und setzten ihren Weg fort. Mittlerweile waren sie in die Nähe der Gegner geraten, die rings um sie lauerten; jeder Schritt trat leise auf, und keine Stimme sprach, obwohl nicht weit entfernt Schüsse fielen. Der General hatte die Warnung ergehen lassen, daß die Feinde sich möglicherweise wie Affen über ihnen in den Bäumen oder wie Raubtiere im Urwald versteckten; aus diesem Grund hielt er sich möglichst an offenes Gelände.
    »Jeder soll für sich selbst und für alle aufpassen«, hatten seine Worte gelautet. »Denkt daran, daß wir hier unter Menschen und Tieren keine Freunde haben.«
    In Wahrheit war es keinem von ihnen beim Gedanken an diesen Krieg wohl zumute. Zu jeglicher Zeit hätten sie auf ihrem eigenen Boden kämpfen können, aber sie waren es nicht gewöhnt, über die Erde anderer zu schreiten. Im eigenen Lande strömte Kraft in ihre Körper; in diesem Lande aber fühlten sie keine Kraft einströmen. Das Land war ein Feind unter ihren Füßen.
    Mit stillem Herzen schritten sie der Schlacht entgegen, und weil ihnen das Herz still war, fürchteten sie sich. Um Mut zu schöpfen, blieben ihnen nur die Befehle, die ihnen von oben erteilt wurden, und einer dieser Oberen war Amerikaner; und wann hatten sie je zuvor Mut aus von oben ergangenen Befehlen geschöpft, als ob sie Mietlinge wären? Die Frauen spürten das Bangen der Männer und folgten in dumpfem Schweigen. Mayli vermochte sie durch nichts aufzumuntern, obwohl sie zwei Soldaten dazu bewogen hatte, ihr etwas Holz zu beschaffen, Feuer angemacht und vor dem Aufbruch heißen Tee ausgeschenkt hatte. Nur blasses Lächeln war ihr dafür zuteil geworden; jede brütete über einem privaten Kummer, der unter erfreulichen Umständen vergessen werden konnte, der aber, wenn andere Befürchtungen einen Druck ausübten, hervorgeholt wurde. So gedachte Chi-ling ihrer verstorbenen Kinder und An-lan ihres alten Vaters; gleicherweise erging es den übrigen, und sogar die wenigen, die keinen großen Kummer hatten, fühlten, daß dies ein trauriger Tag war für Frauen – ohne Heim und Schutz, in einem fremden Land.
    Doch als die Zeit des Sonnenaufgangs sich näherte, wurde die Stimmung ein wenig besser, denn bis jetzt waren sie keinem feindlichen Angriff ausgesetzt gewesen, und wenn es ihnen gelang, sich mit ihren Verbündeten zu vereinen, ehe die Gegner sie vom Himmel entdeckten, dann bestand etwas Hoffnung, daß sie ihre Linien erneut formieren und eine Angriffsbasis finden konnten, anstatt sich dauernd zurückziehen zu müssen.
    Was Sheng betraf, so marschierte er stetig mit dem ausgreifenden Schritt des Bauern; es trieb ihn, zu den Weißen zu stoßen und zu sehen, was für Waffen und Maschinen sie hatten. So lange hatte er mit nichts anderem gekämpft als mit seiner alten Büchse, daß er meinte, sie brauchten nur ein paar jener Waffen zu haben, deren die Weißen so viele besaßen, um sie richtig zu verwenden und anzugreifen, anstatt sich zurückzuziehen. Wie

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