Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
Vom Netzwerk:
Mayli beugte sich über sie und fühlte, daß das Fleisch noch warm war. »Lauf«, bat sie An-lan, »lauf und hol Chung!« Sie selbst begann Chi-lings schlaffe Hände zu reiben und ihre dünnen Arme zu bewegen.
    Binnen kurzem traf Chung ein; im Laufen zog er sich noch an, denn in der Hitze hatte er nahezu nackt geschlafen. Er kniete neben Chi-ling nieder und horchte das Herz ab. Er schüttelte den Kopf – das Herz schlug nicht mehr, sie war tot. Sie standen auf. An-lan starrte mit tränenlosen Augen auf die reglose Gestalt auf der Erde; um ihren Mund lag ein grimmiger Zug.
    »Hat sie nichts zu dir gesagt, An-lan?« fragte Mayli sanft. »Ihr beide wart doch miteinander befreundet.«
    »Nichts«, versetzte An-lan. »Wir aßen miteinander zu Nacht, wie immer etwas abseits von den andern, um Ruhe zu haben. Danach tat sie für die Verwundeten, was du uns aufgetragen hattest. Sie kümmerte sich um ihre Verwundeten, ich mich um meine.«
    »Ich sah sie«, bemerkte Chung langsam, »noch vor ungefähr einer Stunde. Sie kam zu mir, um zu berichten, daß einer der Australier gestorben sei. Das hatte ich schon befürchtet. In seiner Wunde war Brand, und ich hatte keine Medikamente mehr. Sie wußte, daß er kaum am Leben bleiben könnte … außerdem war er ja ein Fremder für sie.«
    »Sie nahm jeden Todesfall zu ernst«, murmelte An-lan. »Ich sagte es ihr, machte sie darauf aufmerksam, daß wir noch viele sterben sehen würden und daß es schlimm wäre, wollten wir uns jedesmal darüber grämen.«
    »Was sagte sie darauf?« fragte Mayli.
    »Du weißt ja, daß sie niemals eine Antwort gab«, erwiderte An-lan. »So schwieg sie auch diesmal. Ich redete ihr in dieser Weise zu, als sie sich zu dem Sterbenden begab, und sicherlich ging sie hierher, um den Tod zu suchen, nachdem sie ihn sterben sah.«
    »Wir wollen den Toten einmal betrachten«, schlug Chung vor. »Vielleicht hat sie bei ihm ein Zeichen hinterlassen.«
    »Aber sie kann nicht hierbleiben«, rief Mayli. »Die Urwaldtiere würden sich über sie hermachen … die Ameisen, die Wildkatzen. Es soll hier auch Tiger geben.«
    Sheng bückte sich. »Ich werde sie tragen«, sagte er und lud sich Chi-lings toten Körper auf den Rücken.
    So gingen sie zum Lager. Ein englischer Wachtsoldat trat ihnen entgegen. »Wer da?« rief er.
    »Eine Pflegerin hat sich umgebracht«, erklärte Chung kurz.
    »O je!« murmelte der Wachtsoldat. Er senkte sein Gewehr, schlug das Moskitonetz zurück, das über sein Gesicht hing, und betrachtete Chi-ling. »Oh, die ist’s«, stieß er hervor. »Vor einer halben Stunde kam sie bei mir vorbei. Ich sagte ihr, sie solle lieber nicht allein fortgehen, aber sie eilte weiter, und ich ließ sie ziehen – es ist schwer, mit Leuten zu streiten, wenn sie nicht englisch sprechen.«
    »Legt sie hin«, ordnete Chung an. »Der Mann wird auf sie achtgeben, bis wir zurückkommen.«
    Sheng legte Chi-ling auf den Boden. Friedlich lag die Tote im Mondlicht da. Mayli beugte sich zu ihr nieder und strich ihr die Uniform glatt.
    »Ich werde auf sie achtgeben«, murmelte der Wachtsoldat.
    Schweigend begaben sie sich dann zu der Stelle, wo der junge Mann auf einem Strohsack auf dem Boden gelegen hatte, und dort war er noch immer – tot. Aber es fand sich dort kein Zeichen noch eine hinterlassene Botschaft von Chi-ling. Erst als sie genauer schauten, sahen sie, wie ordentlich die Leiche war, wie glatt das Haar des jungen Mannes, und auf der Fäulnis der brandigen Unterleibswunde lag eine Handvoll wohlriechende Blätter.
    »Sie hat die Blätter dorthin gelegt«, sagte An-lan.
    Eine Weile standen sie stumm da; dann schlug Chung vor: »Wir wollen zurückgehen und sie begraben. Es ist nicht gut, sie bei dieser Hitze länger liegenzulassen. Den jungen Mann werden andere beerdigen, aber sie wollen wir beerdigen, denn sie gehört zu uns.«
    So gingen sie zurück, und am Rande des Urwalds neben der Straße gruben sie ein Grab mit Stecken und einer Schaufel, die Sheng fand. An-lan und Mayli polsterten die Grube mit Blättern aus, und dahinein legten sie Chi-ling. Als dann die Erde sie bedeckte, hoben Sheng und Chung einen gefallenen Baumstamm auf, den sie quer über das Grab legten, um die Tiere fernzuhalten.
    Als all dies getan war, blickten Sheng und Mayli einander an, und Sheng sagte auf seine alte rauhe Weise: »Jetzt muß ich zu meinen Leuten zurück, und du mußt wieder an deine Pflicht.«
    Pansiao hatte sich genähert; sie betrachtete die beiden stumm, mit sonderbaren,

Weitere Kostenlose Bücher