Das Gelübde einer Sterbenden
hast?«
Er neigte sich nieder. Aber als die Kleine von ihrer Mutter sprechen hörte, begann sie zu weinen, stieß Daniel heftig zurück und rief: »Mama! Mama!«
Der arme Mensch wußte nicht, was er sagen und thun sollte. Da kam ein Dienstmädchen aus dem Hause, und so ging er davon, tief betrübt, daß er so von dem Kinde scheiden mußte, dessen Wohlergehen er sein ganzes Leben widmen wollte.
Und nun stand er auf der Straße, von Allem entblößt und vor sich eine schwere Aufgabe. Nur seine Dankbarkeit und Treue hielt ihn aufrecht.
Es war vier Uhr Nachmittags.
IV.
Die Gitterthür knarrte dumpf, als Daniel sie hinter sich zumachte. Er ließ seine Blicke um sich schweifen, ohne etwas zu sehen, und ging dann ganz von seinen Gedanken in Anspruch genommen, mit gesenktem Haupte, vor sich hin, ohne zu wissen, wohin seine Schritte ihn führten.
Noch klang ihm Jeanne’s Geschrei und das Geknarr der Thür in den Ohren. Er dachte, das Kind kenne ihn nicht, liebe ihn nicht und die Thür hätte recht unheimlich geknarrt. Bis dahin hatte der Kummer sein ganzes Sein beherrscht und die Vernunft fern gehalten. Jetzt aber stellte sie sich wieder ein, sprach auf ihn ein und nun erschien ihm endlich seine Lage so, wie sie war.
Ein schmerzliches Erstaunen überwältigte ihn Angesichts der Wirklichkeit. Er verglich seine physische Schwäche, sein Elend mit der Schwierigkeit der Aufgabe, die er lösen sollte, und zitterte.
Seine Aufgabe war folgender Art: Er hatte eine Seelsorge übernommen; er mußte gegen die Welt ankämpfen und siegen; er sollte über ein Frauenherz wachen und ihm zum Glück verhelfen. Um diesen Zweck zu erreichen, wollte er immer dort hingehen, wo sein Schützling weilen würde; immer ihr zur Seite stehen, um sie gegen Andre und gegen sich selbst zu verteidigen.
Er mußte folglich bis zu ihr empor und sogar noch höher steigen, in ihrem Hause wohnen oder wenigstens sich Zutritt zu den Familien verschaffen, mit denen sie verkehrte. Es war also seine Pflicht, sich zum Weltmann auszubilden, denn nur so konnte er den Kampf mit Aussicht auf Erfolg aufnehmen.
Nun wandte er den Blick auf sich und saß über sich zu Gericht. Er war häßlich, blöde, linkisch, arm. Er hatte kein Obdach, keine Verwandte und Freude; er wußte nicht einmal, wo er zu Abend essen, wo er schlafen sollte. Die Bedienten hatten ihn mit Recht einen Bettler geschmäht, denn der Hunger konnte ihn vielleicht so weit bringen, daß er die Vorübergehenden um ein Almosen anflehte. Er lachte laut auf, so leid that er sich selber. Also er, der Habenichts, das Kind des Elends und des Leidens, sollte dem kleinen Mädchen, das in Sammt und Seide ging, das vom elegantesten Luxus umgeben war, seinen Schutz angedeihen lassen! Träumte er denn oder hatte er den Verstand verloren? Keine Möglichkeit, daß Frau von Rionne einem armen Teufel wie ihm das Schicksal ihres Kindes anvertraut hatte! Jedenfalls wollte er es bleiben lassen, einen so abgeschmackten Versuch zu wagen. Während ihm aber derartige Gedanken durch den Kopf gingen, überlegte er eifrig, wie er wohl den Wunsch seiner Wohlthäterin in Erfüllung bringen könnte. Diese Gedanken lenkten schließlich seinen Geist in eine neue Bahn. Seine Liebesfähigkeit, sein Selbstverleugnungstrieb regten sich wieder und sprachen lauter als seine Vernunft; er vergaß sich und seine Ohnmacht, die alte Begeisterung erwachte wieder.
Nun reute es ihn, daß er aus dem Hause fortgegangen war. Aber wie sollte er wieder hineinkommen? Das Geknarr der Thür, das ihm bis ins Innerste gedrungen war, bezeichnete einen Abschnitt seines Lebens, der sich nicht mehr rückgängig machen ließ. Er schmiedete vielerlei unsinnige Pläne, wie sie im Hirn der Kinder und der Verliebten herumschwirren, und erfand auch die Mittel dazu, die eine sichere Ausführung seiner Gedanken ermöglichen sollten, die er aber immer wieder als chimärisch verwarf. Der Gedanke aber, der am häufigsten in seinem Geist auftauchte, war Verdruß darüber, daß er Jeanne nicht ganz ruhig auf den Arm genommen und mit ihr abgezogen war. Wie er sie in seiner Phantasie so im Sande spielen sah, redete er sich ein, er hätte sie sehr leicht rauben können, und daraufhin baute er auch gleich einen ganzen Roman. Er sah sich, wie er mit dem Kinde davon eilte, es innig an seine Brust gedrückt hielt, und erst Atem schöpfte, als das Unglückshaus, aus dem er sie gerettet hatte, schon weit hinter ihm lag.
Bei der Ausmalung dieses lieblichen Bildes strahlte
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