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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Mädchens.
    »Bitte um Verzeihung,« fiel er ein, »aber ich glaube, den Herren ist die Geschichte nicht vollständig bekannt.«
    Alle wandten sich nach dem Eindringling hin, dessen Stimme vor tiefer Erregung zitterte.
    »Ich habe den Bericht über den Unglücksfall heute früh in der Zeitung gelesen. Der ungeschickte Mensch, der die Dummheit begangen hat, einen tötlichen Sturz zu thun, wurde, mit Blut überdeckt, zu seiner Mutter gebracht. Diese, eine arme sechzigjährige Frau, verlor den Verstand bei dem Anblick. Gegenwärtig ist die Leiche des Sohnes noch nicht beerdigt, und in einer Zelle der Salpêtrière heult und jammert eine Mutter.«
    Lorin fand diesen Ausfall seines alten Kameraden sehr anstandswidrig und dachte, der ungehobelte Mensch scheine doch wirklich unverbesserlich.
    Aber Jeanne hatte, während Daniel sprach, ihn aufmerksam angesehen, und als er ausgeredet hatte, sagte Sie:
    »Ich danke Ihnen, Herr Raimbault.«
    Zwei Thränen perlten langsam ihre Wangen hinunter, die tiefe Blässe überzog. Thränen, die Daniel mit inniger Freude fließen sah.
     

IX.
    Seit jenem Abend, wo Daniel ihr Thränen entlockt hatte, existirte er für Jeanne. Sie ahnte, daß er ein Anderer war als Diejenigen, mit denen sie bisher verkehrt hatte. Allerdings fühlte sie sich von ihm mehr abgestoßen als angezogen. Der ernste, merkwürdig häßliche Mann flößte ihr eine Art Schrecken ein. Aber sie wußte, daß er da war, im Hause, und daß seine Blicke Ihr überall folgten.
    Wenn sie jetzt in die Equipage stieg, hob sie den Kopf empor, trotzdem sie sich vorgenommen hatte, dies nie zu thun, und dann sah sie ihn jedes Mal an seinem Fenster. Das verdarb ihr die ganze Spazierfahrt. Sie fragte sich, was er wohl von ihr wollen möge, und dachte nach, ob sie nicht irgend etwas Schlechtes oder Törichtes gethan oder gesagt habe. Auch Daniel begriff, daß der Kampf eingeleitet war, und spielte seine Rolle als stummer Morallehrer, so gut es ging, denn oft fühlte er sich versucht, das junge Mädchen um Verzeihung wegen seiner Strenge zu bitten. Er ahnte, daß er ihr mißfiel, und fürchtete, zu weit zu gehen und sie vollständig gegen sich aufzubringen. Konnte er es auch wirklich verantworten, — so dachte er oft, — daß er ein so holdes Wesen belästigte und ihren Seelenfrieden störte?
    Aber derartige Regungen wiederlegte alsbald sein unerbittliches Pflichtgefühl. Er hatte geschworen, über Jeannes Glück zu wachen, und das Fieber der Weltlust, so glaubte er, werde sie früher oder später loslassen und dann würde sie Reue und Entmutigung empfinden. Deshalb wollte er sie so bald als möglich aus ihrem öden Amüsementstaumel herausreißen und mußte sie wohl oder übel jeden Augenblick verletzen und verstimmen.
    Auf diese Weise wurde er eine Art Schreckgespenst für Jeanne und für Frau Tellier. Er ging stets vollständig schwarz gekleidet und protestirte immer und überall durch seine Gegenwart gegen das frivole Leben, das die beiden Damen führten.
    Man konnte sich keine sonderbarere Erscheinung vorstellen, als diesen merkwürdigen Menschen, der mit einem Mal überall in der vornehmen Pariser Gesellschaft auftauchte. Man nannte ihn den schwarzen Ritter und es wäre ihm, wenn er gewollt hätte, leicht geworden, Eroberungen unter den Frauen zu machen, deren Neugierde er stark reizte.
    Eines Tages, als Jeanne eine Kollekte in einer Kirche abhielt, stellte sich ihr Daniel, der schon Geld gespart hatte, in den Weg.
    Die junge Dame hielt ihr liebenswürdigstes Lächeln bereit und dachte natürlich mehr an die Eleganz ihrer Toilette als an das Elend der Armen. Obgleich in der Kirche, war sie eben so skeptisch und zu Spott aufgelegt wie in Gesellschaft.
    Als sie vor Daniel angelangt war, sagte sie, ohne aufzublicken die übliche Formel her:
    »Für die Armen, mein Herr.«
    Erstaunt über die bedeutende Summe, die auf den Teller gelegt wurde, schlug sie die Augen empor und erkannte den jungen Mann. Sie errötete, ohne zu wissen warum, und in ihren Augen glänzten Thränen, während sie weiter ging.
    Ein andres Mal wohnte sie in einem Theater der Aufführung eines nicht sehr sittlichen Lustspiels bei und lachte unbefangen über die Späße, die sie nicht immer verstand. Da wandte sie sich zufällig um und bemerkte hinter sich Daniel, der sie vorwurfsvoll ansah. Dieser Blick ging ihr zu Herzen; sie dachte, sie handle unrecht, da der schwarze Ritter Unzufriedenheit bezeigte. Sie lachte den ganzen Abend nicht wieder und zog sich während

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