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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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vielmehr, vergessen zu haben, daß Tellier ein Dummkopf war.
    Er ging also einige Schritte weiter und blieb hinter einer jungen Frau und einem jungen Mann stehen. Die Dame, die lässig da saß, neigte lächelnd und träumerisch die Stirn, um — so schien es — der Sphärenmusik zu lauschen und sich von der Erde weg in eine höhere Welt emporzuschwingen. Der junge Mann, der sich leicht auf die Lehne ihres Sessels stützte, glich einem Cherub im Frack. Daniel glaubte, er würde mit einem Liebesgespräch regalirt werden, wie man deren bei den Dichtern liest. »Was für greuliches Wetter heute gewesen ist!« murmelte der Jüngling.
    »Ach, erinnern Sie mich nicht daran,« erwiderte die Dame tief erregt. »Ich bekomme immer Kopfweh, wenn’s regnet, und denke mir, ich sehe heute Abend abscheulich aus.«
    »Nicht doch, Sie sind zum Anbeten schön.«
    »Haben Sie bemerkt, daß, wenn es regnet die Haare nicht kraus bleiben?«
    »Allerdings!«
    »Ich habe mir heute dreimal die Haare kräuseln lassen, aber wie wirr sehen sie jetzt aus!«
    »Ich brauche in solchen Fällen immer gepulvertes Gummi arabicum.«
    »Wirklich ? Besten Dank für das Recept.« Daniel dachte, das müsse ein Friseur sein, und entfernte sich schleunigst, um die Erörterung etwaiger andrer Geschäftsgeheimnisse nicht zu stören. Nun suchte er sich zwei große, junge Burschen aus, die abseits standen.
    Denn, dachte er, die Beiden hätten keine Damen zu unterhalten und müßten also wie Männer sprechen.
    Sie sprachen aber wie Kutscher und Daniel verstand ihre Worte nicht vollständig, so daß er sie für Ausländer hielt. Endlich erriet er, daß sich ihr Gespräch um die Frauenzimmer und die Pferde drehte, konnte aber nicht immer genau feststellen, welche Ausdrücke sich auf die Pferde und welche sich auf die Frauenzimmer bezogen, denn sie sprachen über beide gleich liebevoll und mit gleicher Rohheit.
    Da blickte Daniel aus klaren Augen in dem Salon herum. Es war eine Ahnung in ihm aufgestiegen, daß er sich durch äußeren Prunk hatte bestechen lassen. Die Plattheiten und Eseleien, die er hier zu hören bekam, waren genau so öde wie die Dialoge der Ausstattungsstücke im Theater.
    Er dachte, all die Pracht bestehe nur in Reflexen von Juwelen und kostbaren Kleidern. Die Köpfe, die alten sowohl wie die jungen, waren hohl oder thaten, als wären sie hohl, um sich aus Höflichkeit dem Niveau der Andern anzupassen. Alle die Herren schauspielerten und zeigten kein eigenes Hirn und Herz. Alle die Damen waren Zierpuppen, die auf ihren Stühlen zur Schau saßen, wie man Porzellanfigürchen auf Etageren zur Schau stellt.
    Da regte sich ein mächtiger Stolz bei Daniel. Er bildete sich auf einmal etwas ein auf seinen Mangel an Schliff und seine Weltfremdheit. Nun fürchtete er sich nicht mehr vor den Blicken der Andern, sondern hob den Kopf und bewegte sich frei im Salon herum. Ungehobelt wie er war, kam er sich ihnen so überlegen vor, daß er nicht mehr danach fragte, ob sie über ihn lächelten oder nicht. Sein Selbstbewußtsein war wieder erwacht, und er nahm in aller Unbefangenheit den Platz in Anspruch, der ihm zukam.
    Hatte er sich bis jetzt noch nicht an die Gruppe herangewagt, in deren Mitte Jeanne wie eine Königin thronte, so ging er jetzt gerade auf sie zu und blieb nur hinter den Andern stehen, um sobald es anginge, in die erste Reihe vorzutreten.
    Jeanne sah zerstreut aus; sie hörte nur mit halbem Ohr auf die Komplimente der Herren, die sich um sie herumdrängten. Sie kannte ja all die Redensarten auswendig und fand das Wortgeklingel an diesem Abend langweilig. Sie zerdrückte ungeduldig einen Rosenstengel zwischen ihren Fingern und ihre entblößten Schultern machten leise Bewegungen, die Geringschätzung verrieten. Daniel störte es, daß sein liebes Töchterchen so tief ausgeschnitten ging, und er spürte in seinem Herzen ein unbekanntes Wonnegefühl, das ihm durch jede Ader rieselte.
    Er fand das junge Mädchen entzückend schön, schöner als er sie je gesehen hatte. Sie glich ihrer Mutter sehr, und ihr Anblick zauberte ihm ein teures Bild, Frau von Rionne’s, vor Augen, wie sie, blaß und abgemagert, damals den Kopf auf das Kissen zurücklehnte. Aber die Wangen blühten rosig, in den Augen strahlte die Flamme des Lebens, zwischen diesen Lippen wehte ein lieblich gesunder Odem.
    Vor Jeanne stand ein junger Mann, der sich von Zeit zu Zeit niederneigte und der ihre Gestalt Daniels Blicken zum Teil entzog. Dieser ärgerte sich über den Menschen,

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