Das Gelübde einer Sterbenden
des Zwischenakts in den Hintergrund der Loge zurück.
Den tiefsten Eindruck aber mochte auf sie die Lektion, die ihr Daniel gelegentlich eines sehr unangenehmen Vorfalls gab. Frau Tellier hatte sich die öffentliche Beschimpfung, die ihr schon einmal wegen ihres excentrischen Aufzugs widerfahren war, nicht zur Lehre dienen lassen, und eines Tages, als sie mit Jeanne in ihrer Equipage ausgefahren war, wiederholte sich das unerquickliche Abenteuer. Zwei junge Leute, die gut dinirt hatten und stark angeheitert waren, dachten feile Dirnen vor sich zu haben und belästigten sie mit kecken Liebesanträgen. Der Eine behauptete sogar, er kenne sie.
»Heda, Liebchen, kommst Du mit?« sagte er zu Jeanne.
Das junge Mädchen sah ihn erschrocken an, ohne ihm zu antworten.
»Na, na, warum bist Du denn mit einem Mal so stolz geworden?«
Aber in demselben Augenblick fühlte er sich am Arm gepackt. Hinter ihm stand Daniel und hielt ihn fest.
»Sie irren sich,« mein Herr, sagte er. »Bitten Sie die Damen um Verzeihung.«
Er nannte ihm ihre Namen und zog ihn an den Kutschenschlag heran. Der junge Mann war betroffen und entschuldigte sich bei den Damen, aber nichts weniger als reuig und demütig:
»Verzeihen Sie,« sagte er bloß, »aber wenn die anständigen Frauen ebenso gekleidet gehen wie Diejenigen, die es nicht sind, wie soll man sie da von einander unterscheiden?«
Daniel ließ ihn los und stieg in die Equipage ein. Der Kutscher erhielt den Befehl, nach der Ruhe d’Amsterdam zurückzufahren. Der Mann grinste und knallte mit der Peitsche.
Als der Wagen die Place de La Concorde durchquerte, ging eine Königin der Halbwelt in auffälliger Toilette vorüber. Daniel zeigte nach ihr, indem er Jeanne einen bedeutungsvollen Blick zuwarf.
Das junge Mädchen sah sich die Kreatur an, mit der sie verglichen wurde, und errötete über die Aehnlichkeit der beiden Kostüme. Hier wie dort derselbe verwegene, leichtfertige Flitter! Zu Hause angelangt, eilte sie dann auch gleich in ihr Zimmer hinauf, um sich ungestört satt zu weinen und dem Groll, den sie gegen Daniel hegte, Luft zu machen.
Auch Frau Tellier war der Sekretär ihres Mannes ein Dorn im Auge. Für sein energisches Auftreten, gegen die beiden jungen Leute, die sie insultirt hatten, schuldete sie ihm freilich nur Dank; aber im Ganzen genommen, ärgerte sie sich fürchterlich über das Gebaren des zudringlichen Menschen, der in ihr Haus gar nicht hineinpaßte.
Sie hatte auch mehrere Male ihrem Manne hart zugesetzt, er möge ihm den Laufpaß geben. Aber der Abgeordnete hielt große Stücke auf Daniel, der sich ihm unentbehrlich gemacht hatte. Tellier fand es bequem, sich von einem klugen Manne mit wissenschaftlichen Thatsachen, gescheiten Gedanken, geistreichen Bemerkungen versehen zu lassen, die er sich dann in seinem dummen Dünkel richtig zu verwerten vermaß. Er hütete sich also, eine so ergiebige Weisheitsquelle mit eigner Hand zu verstopfen, und setzte allen Klagen seiner Frau nur die gelassene Nachsicht der geistigen Ueberlegenheit entgegen. Sie möge sich um ihren Putz bekümmern; davon verstünde sie mehr als von den Pflichten eines Politikers, und da er sich ihre verschwenderischen Toiletten gefallen lasse, müßte auch sie seinen Sekretär dulden. So lange er nur ein einfacher Gewerbetreibender gewesen war, hatte er seiner Frau parirt; als Abgeordneter aber führte er eine gebieterische Sprache und wollte sich keinen Widerstand gefallen lassen.
Daniel seinerseits bemerkte nicht einmal, welchen Anstoß er überall erregte, und verfolgte den beschrittenen Weg, ohne sich zu scheuen, als ein Mann, der sich der Hochherzigkeit seiner Gesinnung bewußt ist. In Wirklichkeit war sein Verhalten äußerst ungeschickt. Frau von Rionne hätte keinen Testamentsvollstrecker finden können, der größerer Selbstlosigkeit und treuerer Liebe fähig gewesen wäre. Vielleicht aber hatte sie mehr Geschmeidigkeit und Weltklugheit, mehr Verständniß für das wahre Wesen der schwierigen Aufgabe vorausgesetzt.
Der junge Mann erfüllte seine Mission mit leidenschaftlicher Hingebung. Seine Unkenntnis der Welt und der Menschen, seine täppische Derbheit hoben den Edelmut seiner Absichten noch mehr hervor, paßte er auch in die Welt, in der ihn die Verhältnisse zu leben zwangen, nicht hinein, so vertrat er doch in ihr die Treue und Selbstverleugnung. Seine Wohlthäterin hatte mit der Hellsehkraft des Todes Daniel richtig beurteilt. Während von Rionne sein Vermögen verpraßte, ohne
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