Das Gelübde einer Sterbenden
das spöttische Lächeln von ihren Lippen zu verbannen, so widerfuhr es ihm, daß er sich zu deutliche, zu derbe Ausdrücke entschlüpfen ließ, die sie beleidigten und ärgerten.
Im Grunde genommen war es ihm überhaupt unmöglich, gegen die Einflüsse ihrer Umgebung mit entscheidendem Erfolge anzukämpfen. Sie gehörte der höheren Gesellschaft an und lebte in einem beständigen Fieber, das sie nicht dazu kommen ließ, die Stimme in ihrem Innern anzuhören. Die Empfindungen, die Daniels Mahnungen zuweilen anregten, wurden durch den Lärm der Außenwelt immer rasch übertäubt und zurückgedrängt.
Scenen, wie die mit dem zerissenen Kleide kamen zwischen den Beiden häufig vor, so daß Daniel Gelegenheiten genug hatte, Jeanne Moral zu predigen; aber jedes Mal fühlte er auch, daß er nur Rückschritte in Jeanne’s Zuneigung machte. Sie zeigte sich dann immer kälter und hochmütiger denn je. Offenbar dachte sie dann, der arme Lump mische sich in Dinge, die ihn nichts angingen, und er konnte sich nicht mit seinem Geheimniß hervorwagen ihr nicht zurufen:
»Sie sind meine innigst geliebte Tochter, der ich mein Leben gewidmet habe. Sie sind das kostbare Vermächtniß Derjenigen, der ich alles verdanke. Wenn Sie gute Reden führen, wird mir wohl ums Herz; lächeln Sie aber boshaft und schadenfroh, so zerreißen Sie mir das Herz. Erbarmen Sie sich also meiner und seien Sie gut. Folgen Sie mir, denn was ich thue, bezweckt ja nur Ihr Glück, das mir unendlich teuer ist.«
Eine große Furcht jedoch war ihm genommen worden. Er hatte nämlich geglaubt, von Rionne würde sich seiner Tochter erinnern und sich um sie bekümmern. Aber seitdem er bei Telliers wohnte, hatte er den Mann, dessen lasterhafte Schlaffheit ihn anwiderte, noch nicht zu Gesicht bekommen.
Von Rionne dachte überhaupt nicht mehr daran, daß er eine Tochter hatte. Nur ein einziges Mal, nachdem sie aus dem Kloster zurückgekommen war, hatte er sich bei seiner Schwester blicken lassen, und zwar nur um ihr einzuschärfen, daß sie ihm nie das Mädchen in seine Wohnung bringen solle.
»Du weißt ja,« meinte er mit einem bedeutungsvollen Lächeln, »daß bei mir nur Männer verkehren, und da würde Jeanne sich nicht wohl fühlen.«
Nachdem er auf diese Weise jeder Störung seiner Bequemlichkeit wirksam vorgebeugt, ging er vergnügt davon und ließ sich nie wieder bei seiner Tochter sehen, nicht einmal zu einem kurzen Besuche, denn sie hätte ihm mit irgend einer, wenn auch noch so unbedeutenden Bitte lästig fallen können.
Andrerseits aber begegnete Daniel im Hause oft einem andern Gesicht, das er nicht gern sah. Zu den Vertrauten der Familie gehörte auch Lorin, der bei den Damen den Liebenswürdigen spielte und um ihre Gunst warb. Er schien auch bei Jeanne Erfolg zu haben, denn sie sah ihn gern und hörte ihm gern zu. Er verstand es, sie zu unterhalten; ja, wenn sie übel gelaunt war, gab er sich sogar gutwillig und gemütlich zur Zielscheibe ihrer Satire her. Kurz, er machte sich nahezu unentbehrlich.
Daniel verursachte die Frage, was der Mann im Hause wollte, viel Sorge, namentlich, wenn er an das Gespräch dachte, das er auf der Soiree mit ihm gehabt hatte. Seit jenem Tage verlor er ihn nicht mehr aus den Augen und machte sogar eines Tages einen Versuch, ihn auszuhorchen, erfuhr aber nichts, was seinen Verdacht bestätigt hätte.
Trotzdem zitterte er und hegte den glühenden Wunsch, Jeanne diesem, wie überhaupt allen Einflüssen zu entziehen, die ihren Charakter verschlechterten. Denn so viel war ihm klar, er würde nie etwas ausrichten können, so lange sie in dem Strudel des Gesellschaftslebens stecken blieb. Er hätte sie am liebsten aus dem Gewühl hinaus, in eine friedvolle Einöde getragen, wo er nachhaltiger auf sie hätte einwirken können.
Sein Wunsch ging in Erfüllung. Denn eines Morgens teilte ihm Tellier mit, er verlasse Paris in acht Tagen, um sich mit seiner Frau und Jeanne in die Sommerfrische zu begeben. Er wollte seinen Sekretär mitnehmen und mit ihm an seinem großen Werke, das nur langsam vorrückte, weiter arbeiten.
Daniel gab sich einer innigen Freude hin, als er in sein Zimmer hinaufgestiegen war. Hatte er doch einen schlimmen Winter zugebracht, ein Leben gelebt, das ihm förmlich den Tod brachte, und nun konnte er sich sagen, daß er endlich in der freien Natur, in der Nähe seiner innigst geliebten Jeanne aufatmen würde. Da draußen, wo der Friede des Lenzes waltete, konnte er den letzten Willen seiner Wohlthäterin
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