Das Gelübde einer Sterbenden
dessen Gesicht er nicht sehen konnte. Warum drängte sich der Unbekannte so an das junge Mädchen heran? Was wollte er von ihr, und mit welchem Recht stellte er sich zwischen sie und ihn?
Aber da geschah es, daß der junge Mann sich umwandte, und Daniel erkannte Lorin, der ihn gleichfalls bemerkte und ihm mit verbindlichem Lächeln die Hand zum Gruße hinhielt. Lorin ging in dem Tellierschen Hause ein und aus. Zu der Zeit nämlich, als er den Grundstein zum Aufbau seines Vermögens legte, hatte er Tellier Kapitalien anvertraut, und diesem war es leicht gewesen, sie aufs vorteilhafteste anzulegen. Daher die Freundschaft zwischen den Beiden.
Böse Zungen fügten zwar noch hinzu, der junge Mann suche noch etwas Andres in dem Tellierschen Hause: Er habe lange genug dort verkehrt, um mit dem Mann über Geschäfte und mit der Frau über Liebe zu sprechen. Jedenfalls aber vernachlässigte Lorin, seit Jeanne gekommen war, Frau Tellier in unverkennbarer Weise.
Er schob seinen Arm in Daniels und ging mit ihm durch den Salon, um sich mit ihm leise zu unterhalten.
»Also Sie verkehren auch hier? Wie freue ich mich, daß ich Ihnen wieder begegnet bin!«
»Sehr liebenswürdig,« antwortete Daniel ziemlich kühl.
»Was macht Raymond?«
»Es geht ihm gut.«
»Also Sie haben Sich bequemt aus ihrer Klausnerzelle hervorzukommen und sich in dem Paradiese dieser Welt zu verirren?«
»O, ich werde mich schon wieder zurecht finden. Ich kenne meinen Weg.«
»Sie kommen wohl wegen der jungen Dame, die Sie soeben mit so lüsternen Augen bewunderten?«
»Ich?« fragte Daniel mit veränderter Stimme und sah Lorin gerade in’s Gesicht, aus voller Furcht, dass er sich dem Manne gegenüber eine Blöße gegeben und sich habe durchschauen lassen.
»Na, was wäre dann weiter dabei?« meinte der Andre ruhig. »Wir sind ja Alle in sie verschossen. Sie hat prachtvolle Augen und üppige Lippen, von denen man sich mal was versprechen kann. Dazu ist sie geistreich, witzig; — na, kurz, wer die mal kriegt, der langweilt sich nicht.«
Dieses eigentümliche Lob in solchem Munde verdroß Daniel sehr. Doch verbiß er seinen Aerger und bemühte sich, Gleichgültigkeit zu heucheln.
»Aber sie hat kein Geld, lieber Freund,« fuhr Lorin fort, »nicht einen roten Heller. Frau Tellier, die mir gewogen ist, war so gewissenhaft und liebenswürdig mich auf diesen Punkt aufmerksam zu machen. Das Mägdlein ist reizend wie ein Engel, aber sie gehört nicht zu den Engeln, die keinen andern Schmuck brauchen als ihre Flügel; sie konsumirt grausig viel Seide und Samt und Atlas. Sie wird mal entzückend sein als Frau; nur schade, daß sie Einem auch verteufelt viel kosten wird.«
Er schwieg eine Weile nachdenklich und begann dann wieder plötzlich:
»Sagen Sie mal, Raimbault, würden Sie ein Mädchen heiraten, das nichts hätte?«
»Ich weiß nicht,« antwortete Daniel durch diese Frage überrascht. »Ich habe nie darüber nachgedacht. Aber ich glaube, ich würde Diejenige heiraten, die ich liebte.«
»Da hätten Sie vielleicht Recht,« kam es langsam aus Lorins Munde. »Ich freilich würde so etwas für eine Torheit halten.«
Er hielt inne, als trüge er Bedenken seinen Gedanken offen auszusprechen. Dann aber sagte er:
»Ach was! Torheiten begeht man ja jeden Tag.«
Hierauf lenkte er das Gespräch auf etwas Andres, seinen Reichtum und die Vorteile, die das Geld verleihe. Endlich aber unterbrach er sich, als er Frau Tellier bemerkte, die eben hereingekommen war, und um die sich rasch eine Menge Herren drängten.
»Wollen Sie, daß ich Sie unsrer Königin vorstelle?« fragte er Daniel.
»Ist nicht nötig,« antwortete dieser. »Sie kennt mich.«
»Ich habe Sie aber nie hier gesehen.«
»Es ist auch das erste Mal, daß ich heruntergekommen bin. Ich wohne nämlich im Hause. Ich bin seit vierzehn Tagen Herrn Telliers Sekretär.«
Diese kurz hingeworfnen, dürren Worte brachten auf Lorin eine merkwürdige Wirkung hervor.
»Sie sind Telliers Sekretär?!«
Der Ton, in dem er dies aussprach, bedeutete: »Zum Donnerwetter, warum haben Sie mir das nicht früher gesagt, Sie Lump Sie? Dann wäre ich nicht so lange mit Ihnen öffentlich herumspaziert?«
Er ließ sacht Daniels Arm los und schloß sich der Gruppe an, die sich um Frau Tellier gebildet hatte. Da der ehemalige Kamerad nur ein subalterner Angestellter war, konnte der Verkehr mit ihm nur Schaden bringen.
Daniels Lippen umspielte ein verächtliches Lächeln; er bedauerte, daß er Lorin nicht früher
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