Das Generationenschiff
sprichst.«
Sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen, während sie weitergingen. Zumindest kannte sie jetzt den väterlichen Zweig ihrer Familie. Aber warum hatte sie immer angenommen, ihre Mutter sei die Verbindung zu Lunzie? Daß sie mit Chinesen verwandt war, störte sie nicht. Warum auch? Wie war Dougals Familie gewesen, daß er ihnen nicht von seiner Frau erzählt hatte? Lunzie hatte etwas in der Art gesagt, daß sie Fionas Kinder recht spießig fand. Sassinak versuchte sich an ihre Eltern zu erinnern, die sie sonst zu vergessen versuchte. Sie waren beide dunkelhaarig gewesen, und sie erinnerte sich daran, daß ihr Vater ihre Mutter einmal wegen ihrer ›assyrischen‹ Nase geneckt hatte, was immer damit gemeint sein mochte.
Ihr Verwandter – zumindest ferner Verwandter -führte sie in einen riesigen Raum, in dem große, übereinander gestapelte Zylinder leise zischten. Sie waren durch Röhren miteinander verbunden, die im Durchmesser Sassinaks Beckenbreite übertrafen und mit Farbcodierungen für heißes und kaltes Wasser, Dampf und Gas versehen waren. In der Ferne pochte irgend etwas. Eine schmale Tür mit der Aufschrift ›Lagerraum‹ öffnete sich in eine überraschend große Kammer, die von der Gruppe offensichtlich schon seit einiger Zeit benutzt worden und mit zerkratzten, aber bequemen Stühlen, Kissenstapeln und verblaßten Teppichstücken eingerichtet war. Sassinak wünschte, sie hätte sich in die Kissen fallenlassen und einen Tag lang schlafen können. Aber Fleur wartete auf sie, so elegant gekleidet wie in ihrem Laden, in zartblauen und lavendelfarbenen Stoffen, das silbergraue Haar zu einem Halo um ihren Kopf toupiert.
»Mein liebes Mädchen«, sagte sie und streckte mit einer solchen Grazie die Hand aus, daß Sassinak für einen Moment nichts erwidern konnte. »Du machst einen erschöpften Eindruck. Weißt du, du hättest dich nicht in solche Schwierigkeiten stürzen müssen, um mich wiederzusehen.«
»Es war nicht meine Absicht.«
Sassinak setzte sich auf den Stuhl, der ihr angeboten wurde. Ihr neuentdeckter Verwandter grinste sie an und schloß die Tür. Sie und Fleur waren allein. Sie betrachtete die ältere Frau und wußte nicht recht, wonach sie suchte.
»Man könnte wohl sagen, daß die Dinge … außer Kontrolle geraten sind.« In einem echten Stuhl zu sitzen, ließ sie jeden müden Muskel spüren. Sie unterdrückte ein Gähnen.
»Ich werde mich so kurz wie möglich fassen.« Fleur rutschte ein wenig auf ihrem Stuhl herum und starrte dann auf eine Stelle auf dem Boden zwischen ihnen. »Ich hoffe, daß wir später Zeit füreinander haben werden, damit ich die Lücken ausfüllen kann, die ich jetzt lassen muß.« Sassinak nickte. »Als ich Abe kennenlernte, war ich gerade in Gefangenschaft geraten. Ich diente als Geisel, um meine Familie gefügig zu machen, und wurde später in die Prostitution verkauft.« Damit fesselte sie schon einmal Sassinaks Aufmerksamkeit. Sie setzte sich aufrecht hin.
»Du?«
»Meine Familie bestand aus reichen Kaufleuten, Konkurrenten der Paradens. Zumindest hielten die Paradens sie dafür. Ich war in Reichtum, Luxus und der feinen Gesellschaft aufgewachsen und wahrscheinlich hoffnungslos verzogen, ohne mir dessen bewußt zu sein. Die perfekte Geisel, wenn man es so betrachtet.« Noch eine Pause. Sassinak empfand ein wachsendes Entsetzen und ahnte, was jetzt kommen würde. »Wir wurden entführt«, sagte Fleur und mußte sich zu jedem Wort überwinden. »Ich und mein Ehemann. Angeblich waren es unabhängige Piraten. Das hat man unseren Familien jedenfalls weismachen wollen. Aber wir wußten von dem Moment an Bescheid, als man uns in den gesicherten Flügel des Paraden-Hauses einsperrte. Ich habe die genauen Details nie erfahren, aber sie verlangten ein Lösegeld, das weder die Familie meines Mannes noch meine aufbringen konnten, ohne sich zu ruinieren. Seine Familie … seine Familie hat gezahlt. Und die Paradens haben ihn zurückgeschickt. Er war körperlich gesund und unversehrt, aber man hatte ihn einer Gedächtnislöschung unterzogen. Ich mußte dabei zusehen.«
Sassinak holte zittrig Luft, um etwas zu sagen, aber Fleur schüttelte den Kopf.
»Laß mich erst alles erzählen. Meine Familie glaubte, sie hätte Beweise dafür, daß die Paradens ihre Finger im Spiel hatten. Sie versuchten sie vor Gericht zu bringen. Am Ende hatte meine Familie durch die Gerichtskosten und Gegenklagen alles verloren. Mein Vater starb an einem Schlaganfall, meine Mutter an
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