Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Kommandant Ga würde seinen eigenen Sohn einem Männlichkeitstest unterziehen. Früher oder später testet er übrigens auch seine Kumpane, und wenn sie durchfallen, dann sieht man sie nie wieder.«
    »Dein Mann wird nie wieder irgendjemanden testen«, sagte er. »In seinem Leben geht es nur noch um eins: um dich. Das wirst du mit der Zeit schon merken.«
    »Aufhören«, sagte sie. »Das ist nicht mehr lustig. Verschwinden Sie.«
    Er blickte zur Tür, wo die Kinder wieder schweigend standen: Ein vielleicht elfjähriges Mädchen und ein Junge, der ein wenig jünger war. Sie hielten einen kräftigen Hund mit glänzendem Fell am Halsband fest. »Brando«, rief Kommandant Ga, und der Catahoula brach aus und galoppierte mit wedelndem Schwanz auf ihn zu. Er sprang an Ga hoch, um ihm das Gesicht abzulecken, und machte sich klein, um ihn in die Hacken zu zwicken.
    »Du hast ihn bekommen«, staunte Ga. »Ich kann’s nicht glauben, dass du ihn wirklich bekommen hast.«
    »Ihn bekommen?«, fragte sie. Ihre Stimme wurde ernst. »Woher kennen Sie seinen Namen?«, fragte sie. »Wir haben den Hund geheim gehalten, damit er uns nicht von den Behörden weggenommen wird.«
    »Woher ich seinen Namen kenne? Den habe ich ihm selbst gegeben«, antwortete er. »Bevor ich ihn letztes Jahr an dich schicken ließ. ›Brando‹ ist das Wort, mit dem Texaner sagen, dass einem etwas für immer gehört.«
    »Einen Moment«, sagte sie, und ihre ganze Theatralik war verschwunden. »Wer sind Sie jetzt wirklich?«
    »Ich bin der gute Ehemann. Der, der alles wiedergutmachen wird.«
    Ein Ausdruck trat auf ihr Gesicht, den Ga kannte. Es war kein freudiger Ausdruck, sondern das plötzliche Verstehen, dass von jetzt an nichts mehr so sein wird wie zuvor, dass es den Menschen, der man vorher war, und das Leben, das man geführt hat, nicht mehr gibt. Diese plötzliche Einsicht war nicht leicht zu schlucken, aber morgen würde es schon ein wenig besser sein. Und ganz so schwer würde es für sie nicht werden, da sie dieses Gesicht schon einmal gemacht hatte – als der Geliebte Führer sie dem Gewinner des Goldenen Gurtes, dem Mann, der Kimura geschlagen hatte, als Preis überreichte.
    Die glimmende Zigarette zwischen Kommandant Gas Lippen im Dunkel der Abteilung 42 war fast zu Ende geraucht. Es war ein langer Tag gewesen, und die Erinnerung an Sun Moon hatte ihn wieder einmal gerettet. Doch es wurde Zeit, die Erinnerung an sie beiseite zu schieben – sie würde immer da sein, wenn er sie brauchte. Beim Gedanken an sie lächelte er ein letztes Mal, und die Zigarette fiel ihm aus dem Mund und in die Kuhle, wo der Hals ins Schlüsselbein übergeht. Dort, auf seiner Haut, brannte sie langsam weiter, ein roter, glühender Punkt in einem stockfinsteren Raum.
    Schmerz – was war schon Schmerz?

BÜRGER , wir bringen euch gute Nachrichten! In euren Küchen, euren Büros, euren Fabriken – wo ihr auch sein mögt, dreht die Lautstärke hoch! Als erster großer Triumph ist zu vermelden, dass unsere Gras-zu-Fleisch-Kampagne ein phänomenaler Erfolg ist. Es muss noch sehr viel mehr Erde auf die Dächer geschafft werden; die Hauswarte aller Wohnblocks sind aufgefordert, zusätzliche Motivationsversammlungen in die Wege zu leiten.
    Und wieder einmal geht es um das beste Rezept des Monats, Bürger. Wer wird gewinnen? Wer reicht das beste Rezept ein für – Sellerienudeln! Das siegreiche Kochrezept wird auf die Fassade des Zentralen Omnibusbahnhofs gemalt, damit es jeder abschreiben kann.
    Und nun zu den Meldungen aus aller Welt. Das aggressive Gebaren Amerikas nimmt kein Ende – derzeit sind zwei mit atomaren Sprengköpfen bewehrte Flottenverbände im Koreanischen Ostmeer stationiert. Dabei liegen daheim in den USA die obdachlosen Bürger in ihrem eigenen Urin auf der Straße! Im armen Südkorea, unserer besudelten kleinen Schwester, ist es wieder einmal zu Überschwemmungen und Hungersnöten gekommen. Aber sorgt euch nicht, Hilfe ist bereits unterwegs: Der Geliebte Führer Kim Jong Il hat angeordnet, dass Sandsäcke und Nahrungsmittel in den Süden geschickt werden.
    Heute hören wir die erste Folge der Besten Nordkoreanischen Kurzgeschichte des Jahres. Schließt einen Moment die Augen und stellt euch unsere geliebte Volksschauspielerin Sun Moon vor. Vergesst die dummen Gerüchte über sie, diein letzter Zeit die Runde gemacht haben. Seht sie so vor euch, wie unser Volk sie immer im Herzen tragen wird. Denkt an die berühmte Fieberszene in Frau eines Volkes , in der