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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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vollbusigen Weiblichkeit zu ihm zu kommen. Sie las ihm den kurzen Brief vor: »Kommandant Ga, es wird Zeit, dass Sie an Ihren Arbeitsplatz zurückkehren.«
    Der Fahrer wartete schon, um Kommandant Ga in die schönste Stadt der Welt mitzunehmen – man beachte die breiten Prachtstraßen und die hohen Gebäude, man suche nach dem kleinsten bisschen Unrat oder Graffiti! Graffiti bezeichnet die Malweise, mit der die Kapitalisten ihre öffentlichen Gebäude verunzieren, Bürger. Bei uns gibt es keine Belästigung durch Werbung, Mobiltelefone oder Flugzeuglärm. Und versucht einmal, eure Blicke von unseren Verkehrspolizistinnen abzuwenden!
    Bald darauf befand sich Kommandant Ga im Gebäude Nr. 13, im modernsten Bürokomplex der Welt. Wusch, wusch sauste die Rohrpost um ihn herum. Grün flackerten die Computerbildschirme. Ga fand seinen Schreibtisch im zweiten Stock, wo er das Namensschild auf dem Schreibtisch nach innen drehte, als müsse er sich selbst daran erinnern, dass er Kommandant Ga war, der Minister für Gefängnisbergwerke, und über den besten Strafvollzug der Welt gebot. Wo sonst gibt es einen Strafvollzug, der so effizient, so geeignet für die innere Einkehr ist wie die Gefängnisse Nordkoreas? Die Gefängnisse im Süden sind voller Musikautomaten und Lippenstifte, dort schnüffeln die Männer Klebstoff und begehen scheußliche Unzucht!
    Mit einem Wusch landete eine Rohrpost im Körbchen auf Kommandant Gas Schreibtisch. Er öffnete die Kapsel und zog eine Notiz heraus, die hinten auf ein Beschaffungsformular gekritzelt war. »Bereithalten für den Geliebten Führer« stand darauf. Er sah sich im Raum nach dem Verfasser der Notizum, doch alle Abhörspezialisten waren emsig damit beschäftigt mitzuschreiben, was sie auf ihren blauen Kopfhörern hörten, und die Beschaffungsleute steckten mit den Köpfen unter den schwarzen Tüchern ihrer Computerhauben.
    Es hatte zu nieseln begonnen, und Kommandant Ga sah draußen vor dem Fenster eine alte Frau in einem vor Nässe fast durchsichtigen Unterkleid, die hoch oben in den Ästen einer Eiche herumkletterte und Eicheln sammelte, obwohl jedermann weiß, dass das verboten ist, solange das Eichelnsammeln nicht offiziell freigegeben ist. Vielleicht hatte Kommandant Ga nach den langen Jahren der Gefängnisinspektionen ein Herz für alte Menschen entwickelt.
    In diesem Augenblick kam die gesamte Rohrpostanlage zum Stehen, und in der unheimlichen Stille, die folgte, blickten alle in Erwartung dessen, was da kommen würde, hinauf zu dem Labyrinth aus durchsichtigen Röhren: Das System wurde für eine Botschaft des Geliebten Führers höchstpersönlich vorbereitet. Mit einem Schlag setzte das saugende Zischen der Vakuumröhren wieder ein, und alle Augen verfolgten die goldene Kapsel, die durch die Röhren sauste und direkt vor Kommandant Ga im Körbchen landete.
    Kommandant Ga öffnete sie. Auf dem Zettel darin stand nur: »Würdest du uns mit deiner Gegenwart beehren?«
    Die Anspannung im Raum war spürbar. War es tatsächlich möglich, dass Kommandant Ga nicht auf der Stelle aufsprang, um zu seinem glorreichen General zu eilen? Nein, er spielte mit den Gegenständen auf seinem Tisch und beschäftigte sich mit einem Gerät, das als Geigerzähler bezeichnet wird. Damit lässt sich das Vorhandensein radioaktiver Materialien entdecken – unser Land ist reich gesegnet mit tief im Boden verborgenen nuklearen Brennstoffen. Überlegte er, wie man dieses wertvolle technische Gerät einsetzen könnte? Übergab eres jemandem zur sicheren Aufbewahrung? Nein, Bürger, Kommandant Ga nahm den Geigerzähler und stieg damit zum Fenster hinaus, wo er auf einen nassen Ast trat. Er kletterte höher hinauf in die Eiche und drückte der alten Frau das Gerät mit den Worten in die Hand: »Da, verscherbel das auf dem Schwarzmarkt, und kauf dir dafür was Anständiges zu essen.«
    Das war natürlich gelogen, Bürger: Einen Schwarzmarkt gibt es nicht!
    Erstaunlicherweise nahm niemand Notiz davon, als Ga wieder zum Fenster hereinkletterte. Alle machten mit ihrer Arbeit weiter, während er sich das nasse Laub von der Uniform klopfte. Im Süden würden die Angestellten in lautes Weibergeheul ausbrechen, hätte jemand derart gegen die Vorschriften verstoßen und Regierungseigentum verschenkt. Doch bei uns herrscht Disziplin: Jedermann weiß, dass nichts grundlos geschieht, dass auch die geringste Aufgabe von Bedeutung ist, und wenn jemand einer alten Frau auf einem Eichenast einen Geigerzähler schenkt,

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