Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
südkoreanischer Fußsoldat in die Dunkelheit schießen und eine ganze, kilometerweit entfernte Invasion aufhalten.
Sie kamen an vielen Türen vorbei, die keine Wohn- oder Büroräume zu sein schienen, sondern wohl eher die vielen laufenden Vorhaben des Geliebten Führers beherbergten.»Ich habe ein gutes Gefühl bei dieser Sache«, sagte der Geliebte Führer. »Wann haben wir zwei das letzte Mal so etwas zusammen gemacht?«
»Es ist zu lange her, als dass ich mich daran erinnern könnte«, antwortete Kommandant Ga.
»Iss doch, iss«, sagte der Geliebte Führer im Gehen. »Es stimmt, was ich gehört habe: Die Arbeit im Gefängnis hat Spuren bei dir hinterlassen. Wir müssen dich wieder auf die Beine bringen. Aber du siehst immer noch so gut aus wie früher, richtig? Und was für eine schöne Frau. Du musst sehr froh sein, dass du sie wiederhast. Welch hervorragende Schauspielerin – ich muss unbedingt eine neue Rolle für sie schreiben.«
Der dumpfe Widerhall ihrer Schritte sagte Ga, dass mehr als hundert Meter Fels über ihnen lasteten. Man konnte lernen, solche Tiefen wahrzunehmen. Im Bergwerk waren geisterhafte Vibrationen zu spüren gewesen, wenn die Erzloren durch andere Schächte rumpelten. Und die Presslufthammer, die in benachbarten Stollen an der Arbeit waren, konnte man zwar nicht direkt hören, aber in den Zähnen fühlen. Eine unterirdische Sprengung konnte man danach verorten, wo der Staub von der Wand rieselte.
»Ich habe dich herbestellt«, sagte der Geliebte Führer im Gehen, wobei er ein leichtes Hinken zu verbergen suchte, »weil die Amerikaner bald zu Besuch kommen und wir ihnen einen Schlag versetzen müssen – einen Schlag, der so in den Magen geht, dass ihnen die Puste wegbleibt, aber keine sichtbaren Spuren hinterlässt. Schaffst du so etwas?«
»Drängt der Ochse nicht nach dem Joch, wenn das Volk hungert?«
Der Geliebte Führer lachte. »Die Arbeit im Gefängnis hat sich wunderbar auf deinen Sinn für Humor ausgewirkt. Früher warst du immer so angespannt, so ernst. Immer diese spontanen Taekwondo-Lektionen, die du irgendwelchen Unbeteiligten erteilt hast!«
»Ich bin ein neuer Mensch«, sagte Ga.
»Ha!«, entgegnete der Geliebte Führer. »Wenn nur mehr Menschen hin und wieder ein Gefängnis besuchen würden!«
Vor einer Tür blieb der Geliebte Führer stehen, überlegte kurz, und ging dann zur nächsten. Er klopfte, und die Tür wurde von einem elektrischen Summer geöffnet. Es war ein kleiner, weißer Raum, in dem Kartons gestapelt waren.
»Ich weiß, dass du die Straflager genau im Auge hast, Ga«, sagte der Geliebte Führer und winkte ihn herein. »Hier ist unser Problem. Im Lager 33 gab es einen Insassen, einen Soldaten aus einem Waisenregiment. Offiziell war er ein Held. Er ist verschwunden, aber wir brauchen seine Fachkenntnisse. Vielleicht hast du ihn zufällig kennengelernt, vielleicht hat er dir ja das ein oder andere erzählt.«
»Verschwunden?«
»Ja, ich weiß, das ist peinlich, nicht wahr? Der Lagerkommandant hat schon dafür gebüßt. In Zukunft wird so etwas nicht wieder vorkommen. Wir haben jetzt ein neues Gerät, das jeden überall auf der Welt finden kann. Einen Zentralrechner sozusagen. Erinnere mich daran, dass ich ihn dir zeige.«
»Und, wer ist dieser Soldat?«
Der Geliebte Führer fing an, in den Kartons zu wühlen, machte mehrere auf, warf andere beiseite. Offensichtlich suchte er etwas. Ga sah, dass ein Karton mit Grillutensilien gefüllt war, ein anderer mit südkoreanischen Bibeln. »Der Waisensoldat? Wahrscheinlich ein ganz normaler Bürger. Ein Niemand aus Ch' ˘ ongjin. Warst du mal da?«
»Nein, ich hatte noch nie das Vergnügen.«
»Ich auch nicht. Na, jedenfalls fuhr dieser Soldat nach Texas – er verfügte über gewisse Sprachkenntnisse, war schon öfter grenzübergreifend eingesetzt worden und so weiter. Bei dieser Mission ging es darum, etwas zurückzubekommen, was die Amerikaner mir weggenommen haben. Wie es schien, hatten sie allerdings nie die Absicht, mir den bewussten Gegenstand zurückzugeben. Stattdessen setzten sie meine diplomatische Abordnung tausend Demütigungen aus, und wenn die Amerikaner uns besuchen kommen, will ich sie ebenfalls tausendfach demütigen. Um das entsprechend vorbereiten zu können, muss ich über alle Einzelheiten des Besuchs in Texas Bescheid wissen, und der Waisensoldat ist der Einzige, der sie kennt.«
»Bei diesem Besuch waren ja sicherlich auch andere Diplomaten zugegen. Warum fragt man nicht
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