Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
dann tut er das, weil der Geliebte Führer es so wünscht. Ob es nun zwei Kommandanten Ga gibt oder keinen – nichts geschieht, ohne dass der Geliebte Führer es so will.
Als er seinem Schicksal entgegenschritt, bemerkte Kommandant Ga den Blick seines Kollegen Genosse Buc, der ihm den hochgereckten Daumen entgegenstreckte. Manche Menschen mögen Buc amüsant finden. Zugegeben, er hat eine hübsche Narbe, die seine Augenbraue in zwei Hälften teilt, weil seine Frau es nicht geschafft hat, ihn ordentlich zusammenzuflicken. Aber vergesst nicht, dass der Daumen das Zeichen der Yankees war, bevor sie ihre Bomben auf das unschuldige Nordkorea abwarfen. Schaut euch nur die Filme an: Da seht ihr, wie sie grinsend die Daumen hochrecken, und dannfallen die Bomben auf Mutter Korea. Schaut euch Überraschungsangriff mit Kommandant Gas hinreißender Gattin in der Hauptrolle an. Schaut euch Der letzte Märztag an, der von dem dramatischen Tag im Jahre 1951 handelt, an dem die Amerikaner einhundertzwanzigtausend Tonnen Napalm auf uns abwarfen. Hinterher standen nur noch drei Häuser in ganz Pjöngjang. Zeigt Genosse Buc also euren nach unten gerichteten Daumen und beachtet ihn von nun an nicht mehr! Leider wird sein Name hin und wieder noch fallen, aber er hat nichts mehr in dieser Geschichte zu suchen, und ihr werdet ihn von nun an ignorieren.
Und wie steht es nun mit Kommandant Ga? Auch wenn ihr vielleicht bisher den Eindruck gewonnen habt, er habe einen schwachen Charakter: Lasst euch gesagt sein, dass diese Geschichte von Verwandlung und innerer Größe handelt; es ist eine Geschichte, in der die niedrigsten Gestalten zur Erkenntnis heranreifen. Nehmt diese Erzählung zum Vorbild, wenn ihr in eurem Wohnblock mit moralisch schwachen Individuen zu tun habt, mit den Egoisten, die im Gemeinschaftsbad die ganze Seife aufbrauchen. Ihr dürft wissen, dass Umkehr und ein schöner Schluss immer möglich sind, denn diese Geschichte verspricht schon jetzt, die beste Wendung zu nehmen, die man sich nur vorstellen kann.
Ein Aufzug wartete auf Kommandant Ga. Darin stand eine schöne Frau in marineblau-weißer Uniform mit blauer Sonnenbrille. Sie sprach kein Wort. In dem Aufzug gab es keine Knöpfe, und sie rührte sich nicht. Wie die Kabine sich in Bewegung setzte und ob die Frau dazu beigetragen hatte, war für Ga nicht ersichtlich; jedenfalls sausten sie schon im nächsten Moment im Höchsttempo hinunter in die Tiefe, weit hinab unter die Stadt. Als die Tür sich öffnete, fand Ga sich in einem prächtigen Raum wieder, in dem Geschenke ausländischer Weltherrscher die Wände schmückten. Hier standen Buchstützen mit Rhinozeroshörnern von Robert Mugabe, dem ewigen Präsidenten Zimbabwes, dort eine schwarz lackierte Maske, die ein langes Leben versprach, von Guy de Greves, dem haitianischen Außenminister, und ein graviertes Silbertablett, auf dem sämtliche Mitglieder der burmesischen Militärjunta dem Geliebten Führer zum Geburtstag gratulierten.
Plötzlich erstrahlte ein helles Licht. Daraus trat der Geliebte Führer hervor, der groß und selbstbewusst auf Kommandant Ga zuschritt, und dieser spürte, wie augenblicklich alle irdischen Sorgen von ihm abfielen. Unendliches Wohlbefinden durchströmte ihn; es war, als halte der Geliebte Führer ihn in seiner schützenden Hand, und in Ga entbrannte das Verlangen, nur noch der glorreichen Nation zu dienen, die solch grenzenloses Zutrauen in ihm aufsteigen ließ.
In vollkommener Unterwerfung verneigte sich Kommandant Ga bis zum Boden.
Der Geliebte Führer nahm ihn fest am Arm und sprach: »Bitte, das reicht, mein guter Bürger. Wie lange haben wir uns nicht gesehen, Ga, viel zu lange! Dein Land braucht dich. Ich habe eine köstliche kleine Überraschung für unsere amerikanischen Freunde geplant. Willst du mir dabei helfen?«
Warum aber, liebe Hörer, lässt der Geliebte Führer kein Zeichen von Beunruhigung erkennen, als er den Hochstapler vor sich sieht? Welchen Plan hegt der Geliebte Führer? Wird Sun Moon endlich aufhören, so traurig zu sein? All das erfahrt ihr morgen, Bürger, wenn wir die nächste Folge der Besten Nordkoreanischen Kurzgeschichte des Jahres senden!
DER AUFZUG rauschte tief hinunter in den Bunker 13, wo Kommandant Ga mit dem Geliebten Führer zusammentreffen würde. Ga spürte einen starken Druck auf dem Trommelfell, und sein Körper war wie aus Gummi, als stürze er im freien Fall zurück in einen Bergwerksschacht. Als er Genosse Buc, sein Grinsen und den
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