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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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hochgereckten Daumen gesehen hatte, hatte sich zwischen dem Menschen, der er früher gewesen war, und dem Menschen, in den er sich verwandelt hatte, ein tiefer Abgrund aufgetan. Genosse Buc war die einzige Person, die beiderseits dieses Abgrunds existierte; Buc kannte als Einziger den jungen Helden, der nach Texas geflogen war, und den neuen Ehemann Sun Moons, den gefährlichsten Mann in Pjöngjang. Das hatte Ga aus der Fassung gebracht. Ihm wurde bewusst, dass er nicht unverwundbar war und keine Kontrolle über sein Schicksal hatte.
    Als sich tief unten im Bunker 13 die Aufzugtür öffnete, führten Elite-Bodyguards eine elf Punkte umfassende Leibesvisitation bei ihm durch, die allerdings auch nicht schlimmer war als das, was er bei jeder Rückkehr aus Japan über sich hatte ergehen lassen. Der Raum war weiß und kalt. Sie nahmen ihm eine Urinprobe und eine Haarsträhne ab. Kaum war er wieder angezogen, da näherten sich auf dem Flur schwere Tritte, und die Wachsoldaten machten sich salutierend für die Ankunft des Geliebten Führers bereit. Dann schwang die Tür auf, und Kim Jong Il trat herein. Er trug einen grauen Einteiler und eine Designerbrille, die das neckische Funkeln in seinen Augen noch verstärkte.
    »Da bist du ja, Ga«, sagte er. »Du hast uns gefehlt.«
    Kommandant Ga verneigte sich tief, um sein erstes Versprechen an Sun Moon zu erfüllen.
    Der Geliebte Führer lächelte. »Na, das war doch gar nicht so schwer«, sagte er. »Das hat nicht weh getan, oder?« Er legte Ga eine Hand auf die Schulter und blickte hoch in seine Augen. »Aber die Verbeugung muss in der Öffentlichkeit kommen. Habe ich dir das nicht gesagt?«
    Kommandant Ga erwiderte: »Man wird doch üben dürfen?«
    »Das ist Ga, wie ich ihn liebe«, schmunzelte der Geliebte Führer. Auf dem Tisch stand ein kunstvoll ausgestopfter Polarfuchs, der mitten im Sprung über einer weißen Wühlmaus erstarrt war – ein Geschenk von Konstantin Dorosow, Bürgermeister von Wladiwostok. Der Geliebte Führer sah aus, als würde er den Fuchspelz bewundern, streichelte dann aber die Wühlmaus, die dem Angreifer über sich die Zähne zeigte. »Eigentlich müsste ich dir böse sein, Ga«, sagte er. »Deine Missetaten kann man gar nicht mehr zählen. Du hast unser produktivstes Bergwerk ausbrennen lassen, zusammen mit fünfzehnhundert unserer besten Häftlinge. Wir versuchen immer noch, dem chinesischen Premier dein Verhalten im Badehaus in Shĕnyáng zu erklären. Mein Fahrer, der mir zwanzig Jahre gedient hat, liegt noch immer im Koma. Der neue kann auch fahren, aber ich vermisse den alten – er hat seine Treue mehrfach bewiesen.« Und damit drehte sich der Geliebte Führer wieder zu ihm um, legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte ihn hinunter auf die Knie, sodass er nun über Ga aufragte. »Und was du da in der Oper zu mir gesagt hast: Das kann man nicht ungeschehen machen. Dafür müsste eigentlich dein Kopf rollen. Bei dem Ärger, den du mir machst – welcher Führer wäre da nicht froh, wenn du weg wärst, wenn du vom Erdboden verschluckt würdest? Hast duetwa vergessen, dass ich dir Sun Moon geschenkt habe? Aber ich habe eine gewisse Schwäche für dein kurioses Verhalten. Ja, ich gebe dir noch genau eine Chance. Nimmst du einen neuen Auftrag von mir an?«
    Kommandant Ga schlug die Augen nieder und nickte.
    »Dann hoch mit dir«, befahl der Geliebte Führer. »Klopf dir den Staub ab und hol dir deine Ehre zurück.« Er zeigte auf einen Teller auf dem Tisch. »Getrocknetes Tigerfleisch?«, fragte er. »Bitte, bediene dich ruhig, und nimm deinem Sohn auch was mit – er sieht aus, als könnte er etwas Tiger gebrauchen. Wenn man Tiger isst, wird man ein Tiger. Sagt man doch.«
    Kommandant Ga steckte ein Stück in den Mund – es war hart und schmeckte süß.
    »Ich vertrag das Zeug nicht«, fuhr der Geliebte Führer fort. »Wahrscheinlich die Teriyaki-Soße. Ein Geschenk von den Burmesen. Wusstest du schon, dass meine gesammelten Werke in Rangun herauskommen? Du solltest auch schreiben, Kommandant. Ich freue mich auf ein mehrbändiges Standardwerk über Taekwondo.« Er schlug Kommandant Ga auf den Rücken. »Dein Taekwondo hat uns wirklich gefehlt.«
    Der Geliebte Führer ging Kommandant Ga voran durch einen langen, weißen Gang, der eine permanente leichte Krümmung aufwies – wenn die Yankees angriffen, hatten sie nie mehr als zwanzig Meter Schusslinie. Auch die Tunnel unter der DMZ verliefen in solchen Kurven, sonst könnte ein einziger

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