Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
»ist vom Geliebten Führer persönlich.«
»Wofür ist der?«
Sie zuckte mit den Achseln.
»Steck ihn ganz oben dran«, sagte er.
Sie hob die Augenbrauen angesichts dieser weisen Entscheidung und gehorchte. »Und dieser wurde von General Guk für nicht näher benannte Heldentaten verliehen.«
Ihre Schönheit und die Aufmerksamkeit, mit der sie ihn behandelte, hatten ihn abgelenkt. Er vergaß, wer er war. »Findest du mich heldenhaft?«, fragte er.
Sie knöpfte die Brusttasche seiner Uniform zu und zog seine Krawatte ein letztes Mal zurecht.
»Ich weiß nicht, ob du ein Freund oder ein Feind meines Mannes bist. Aber du bist ein Mann, und du musst mir versprechen, meine Kinder zu beschützen. Es darf nie wieder so weit kommen wie heute.«
Er zeigte auf einen großen Orden, den sie ihm nicht angesteckt hatte. Ein scharlachroter Stern mit der goldenen Juche-Flamme im Hintergrund. »Was ist das für einer?«, wollte er wissen.
»Bitte«, sagte sie. »Versprich es mir.«
Er nickte und sah ihr fest in die Augen.
»Dieser Orden war für den Sieg über Kimura in Japan«, erklärte sie. »Eigentlich war er aber dafür, dass du aus Japan zurückgekommen bist. Der Orden war nur ein Teil der Belohnung.«
»Was für eine Belohnung?«
»Dieses Haus, deine Stellung – und anderes.«
»Republikflucht? Wer würde denn nicht zu dir zurückkehren?«
»Gute Frage«, erwiderte sie. »Doch damals gehörte meine Hand noch nicht Kommandant Ga.«
»Ich habe also Kimura besiegt, richtig? Dann steck ihn mir an.«
»Nein«, sagte sie.
Ga nickte. Er vertraute ihrem Urteil.
»Soll ich die Pistole anlegen?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf.
Vor dem Gehen hielten sie inne und betrachteten den Goldgurt in seiner beleuchteten Vitrine. Jeder Besucher musste sie beim Betreten des Hauses als Erstes erblicken. »Mein Mann ...«, sagte Sun Moon, beendete den Gedanken jedoch nicht.
*
Auf der Fahrt besserte sich ihre Stimmung. Die Sonne war untergegangen, doch der Himmel war immer noch blassblau. Bei der Armee hatte Ga nur Lkws gefahren, aber mit der Zeit gewöhnte er sich an den Mustang, obwohl der Mercedes-Motor dem kleinen Lada-Getriebe ziemlich zusetzte. Das Wageninnere dagegen war vom Allerfeinsten – das Armaturenbrettaus Mahagoni, die Anzeigen aus Perlmutt. Zuerst wollte Sun Moon allein auf dem Rücksitz sitzen, aber er hatte sie überredet, mit nach vorn zu kommen, weil die Damen in Amerika auch neben ihren Männern sitzen. »Gefällt dir dieser Wagen, der Mustang?«, fragte er. »Die Amerikaner machen die besten Autos. So eins wie das hier wird dort sehr geschätzt.«
»Ich kenne dieses Auto«, sagte sie. »Ich bin schon darin gefahren.«
»Das bezweifle ich«, erwiderte Ga. Sie schlängelten sich den Berg hinunter, gerade schnell genug, um der Staubwolke zu entkommen, die ihnen folgte. »Das hier ist mit Sicherheit der einzige Mustang in ganz Pjöngjang. Der Geliebte Führer hat ihn anfertigen lassen, um den Amerikanern einen Schlag ins Gesicht zu versetzen – um ihnen zu zeigen, dass wir eines ihrer Autos bauen können, nur besser und stärker.«
Sun Moon fuhr mit den Händen über die Polster. Sie klappte die Sonnenblende herunter und betrachtete sich im Spiegel. »Nein«, widersprach sie. »In diesem Auto habe ich schon gesessen. Es gehörte in einem meiner Filme zur Ausstattung. Der, in dem die Amerikaner besiegt werden und MacArthur auf der Flucht gefangengenommen wird. Der Feigling versucht in diesem Auto hier zu flüchten. Ich hatte eine Szene genau hier, auf diesem Sitz. Ich musste den Verräter küssen, um an Informationen heranzukommen. Aber das ist schon viele Jahre her.«
Über Filme zu reden verdarb ihr offensichtlich die Laune.
Sie fuhren am Friedhof der Revolutionshelden vorbei. Die Sŏng'un-Wachen mit ihren goldenen Gewehren hatten schon Feierabend gemacht, und zwischen den langen Schatten der bronzenen Büsten huschten nur noch vereinzelt Männer und Frauen umher. In der einbrechenden Dunkelheit sammelten diese geisterhaften Figuren geduckt und mit raschen Bewegungen sämtliche Blumen von den Gräbern.
»Ständig stehlen sie die Blumen«, bemerkte Sun Moon im Vorbeifahren. »Das regt mich so auf. Mein Großonkel liegt dort, wusstest du das schon? Kannst du dir vorstellen, wie das für unsere Vorfahren ist, wie sehr sie das beleidigen muss?«
Ga fragte sie: »Was glaubst du, warum sie die Blumen stehlen?«
»Ja, das ist die Frage, nicht wahr? Wer würde so etwas tun? Was ist mit unserem Land
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