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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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intakten UN-Siegeln auf. »Hier unten ist nicht mal eine Schaufel«, stellte sie angewidert fest. Genau in der Mitte des Tunnels befand sich die einzige Einrichtung – ein Polstersessel sowie ein Bücherregal mit Flaschen voller Reiswein und DVDs. Sie nahm eine DVD heraus und streckte sie ihm entgegen. »Filme?!« Gleich würde sie losschreien.
    Doch dann schauten alle hoch zur Decke: Erst ein Vibrieren, dann gedämpftes Motorengeräusch, und plötzlich löste sich Erdreich von der Tunneldecke und fiel ihnen ins Gesicht. Die Kinder gerieten in Panik, husteten und rieben sich die erdverschmierten Augen. Ga ging mit ihnen zurück zur Leiter, wo es heller war. Er wischte ihnen mit dem Ärmel seines Dobok die Gesichter ab. Er hörte, wie oben im Haus eine Tür geöffnet wurde, dann näherten sich über den Holzboden Schritte, und auf einmal öffnete sich die Falltür. Sun Moons Augen weiteten sich vor Schreck, und sie klammerte sich an Kommandant Ga. Als er hochschaute, sah er ein großes helles Quadrat. Im nächsten Moment erschien darin das Gesicht von Genosse Buc.
    »Ich bitte euch, liebe Nachbarn«, sagte Genosse Buc. »Hier werden sie als Erstes suchen.«
    Er streckte Ga die Hand entgegen.
    »Keine Sorge«, sagte Genosse Buc. »Wir nehmen euch mit.«
    Kommandant Ga ergriff seine Hand. »Gehen wir«, sagteer zu Sun Moon, und als sie sich nicht rührte, brüllte er: »Jetzt!« Die kleine Familie kam zu sich und kletterte aus dem Tunnel. Zusammen liefen sie durch den Garten hinüber zu Bucs Küche.
    Drinnen saßen Bucs Töchter um einen Tisch mit einem weiß bestickten Tischtuch. Bucs Frau zog gerade der letzten Tochter ein weißes Kleid über den Kopf, während Genosse Buc noch Stühle für die Gäste holte. Ga merkte, dass Sun Moon kurz davor war, die Nerven zu verlieren, aber die von Bucs Familie ausgehende Ruhe verbot ihr jede Szene.
    Ga und Sun Moon saßen Bucs Familie gegenüber, zwischen ihnen der Junge und das Mädchen, alle vier verdreckt. In der Mitte des Tischs stand eine Büchse Pfirsiche, daneben lag ein Dosenöffner. Keiner beachtete die Krähe, die mit laufendem Motor draußen stand. Genosse Buc setzte einen Stapel gläserner Dessertschalen auf den Tisch vor sich und reichte dann Löffel herum. Sehr vorsichtig öffnete er die Pfirsichdose. Es war so still im Raum, dass man den Öffner einrasten und schneiden hören konnte, einrasten und schneiden. Das Blech gab nur unwillig nach, während der Öffner sich seinen gezackten Weg um den Rand bahnte. Ebenso vorsichtig bog Genosse Buc mit einem Löffel den Blechdeckel zurück, ohne dass dieser in Kontakt mit der Flüssigkeit kam. Schweigend saßen sie zu neunt um den Tisch und betrachteten die Pfirsiche. Dann betrat ein Soldat das Haus. Unter dem Tisch griff der Junge nach Gas Hand, und Ga drückte beruhigend die kleine Hand. Niemand rührte sich, als der Soldat an den Tisch trat. Er hatte keine glänzende Kalaschnikow oder sonst irgendeine für Ga sichtbare Waffe bei sich.
    Genosse Buc tat so, als würde er ihn nicht sehen. »Das Wichtigste ist, dass wir zusammen sind«, sagte er, bevor er einen einzelnen Pfirsichschnitz in ein Schälchen löffelte. Erreichte es weiter, und bald stand auf dem Tisch ein Kreis aus Glasschälchen mit jeweils einem einzigen Stück Pfirsich darin.
    Der Soldat stand eine Weile da und schaute zu.
    »Ich suche Kommandant Ga«, sagte er. Offensichtlich war er nicht bereit zu glauben, dass einer dieser Männer der berühmte Kommandant Ga sein könnte.
    »Ich bin Kommandant Ga.«
    Draußen hörten sie eine Seilwinde quietschen.
    »Das ist für Sie«, sagte der Soldat und übergab Ga einen Umschlag. Er enthielt einen Autoschlüssel und eine Einladung zu einem Staatsbankett am Abend, auf die von Hand hinzugefügt war: Würdet ihr uns die Ehre erweisen?
    Vor dem Haus wurde ein hellblauer Mustang von der Ladefläche der Krähe heruntergelassen. Langsam senkte die Seilwinde den Wagen rückwärts über zwei Metallrampen ab. Der Mustang sah genauso aus wie die Oldtimer, die Ga in Texas kennengelernt hatte. Er ging zu dem Wagen und strich mit der Hand über den Kotflügel – auch wenn man es auf den ersten Blick nicht sah, verrieten ihm kleine Dellen und Unebenheiten in der Karosserie, dass die Außenhülle von Hand aus Rohmetall zurechtgeklopft worden war. Die Stoßstange war nicht aus Chrom gemacht, sondern mit Sterlingsilber überzogen, und die Rückleuchten bestanden aus mundgeblasenem rotem Glas. Ga steckte den Kopf unter den Wagen und

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