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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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Moon zu Ga. »Stimmt es, ich meine, haben Sie davon gehört, dass es ein Lobotomielager gibt?«, fragte sie. In der zitternden Hand hielt sie eine Garnele, die blind herumzappelte.
    »Was?«, fragte Ga.
    »Nein«, sagte Sun Moon. »Hören Sie auf.«
    »Sie müssen mir helfen, ihn zu finden. Ich habe gehört, allen Männer wird das Gehirn amputiert, wenn sie ankommen – dann arbeiten sie in alle Ewigkeit wie die Zombies.«
    »Es ist keine Operation nötig, um jemanden dazu zu bringen, so zu arbeiten«, antwortete er.
    Sun Moon erhob sich, nahm Gas Arm und führte ihn weg.
    Die beiden mischten sich unter die Grüppchen am Buffet. Dann wurde das Licht schummriger, und die Kapelle fing an, ihre Instrumente zu stimmen. »Was geschieht jetzt?«, fragte er.
    Sie zeigte auf einen gelben Vorhang vor einer Loge im zweiten Rang.
    »Dort wird der Geliebte Führer erscheinen«, sagte sie und machte einen Schritt von ihm weg. »Ich muss mit den Leuten über meinen Film reden. Ich muss herausfinden, was aus der Trostfrau geworden ist.«
    Ein Scheinwerfer-Spot erschien auf dem gelben Vorhang, doch anstelle von »Wir folgen dir auf ewig« begann die Kapelle, eine aufwühlende Version der »Ballade von Ryoktosan« zu spielen. Der Tenor fing an, von Ryoktosan zu singen, dem pausbäckigen Riesen aus Süd-Hamgyŏng. Dem Bauernjungen, der die japanischen Kämpfer von ihrem Thron stieß! Dem pausbäckigen Riesen, der Sakuraba überwältigte! Doch mit dem Gurt um die Hüften sehnte er sich nur noch nach seiner Heimat. Sein einziger Wunsch war es, als Held in sein geliebtes Heimatland Korea heimzukehren! Doch unser Champion wurde geraubt und gemeuchelt, erstochen von den schamlosen Japanern. Ein urintriefendes japanisches Messer zwang den großen Ryoktosan in die Knie.
    Es dauerte nicht lange, und die Menge fiel mit ein. Die Leute wussten, wann sie mit den Füßen zu stampfen und zweimal zu klatschen hatten. Jubel brach aus, als die schweren, bombensicheren Feuertüren hinter dem Vorhang geräuschvoll auseinandergeschoben wurden. Und als der gelbe Vorhang sich teilte, stand dort eine zierliche Gestalt mit rundem Bauch in einem weißen Dobok und einer Maske, die dem großen, runden Gesicht von Ryoktosan nachempfunden war.Die Menge tobte. Im nächsten Moment flitzte der kleine Taekwondo-Kämpfer die Stufen hinunter, um eine Ehrenrunde durch die Gästeschar zu drehen. Er schnappte sich von jemandem ein Glas Cognac und schlürfte ihn durch das Loch in seiner Maske aus. Dann trat er vor Kommandant Ga, verbeugte sich in aller Förmlichkeit und nahm eine Taekwondo-Haltung ein.
    Kommandant Ga wusste nicht, was er tun sollte. Die Gäste bildeten einen großen, lockeren Kreis um ihn und den kleinen Mann mit den erhobenen Fäusten. Plötzlich standen die beiden im Scheinwerferlicht. Der kleine Mann hüpfte auf und ab, näherte sich schnell bis auf Schlagweite und tänzelte wieder davon. Ga schaute sich nach Sun Moon um, sah aber nichts als das grelle Scheinwerferlicht. Der Kämpfer federte auf Ga zu und vollführte eine Reihe von Luftschlägen und Schattentritten. Dann schlug der Zwerg aus heiterem Himmel zu – ein blitzartiger Hieb gegen den Hals.
    Die Leute jubelten und fingen an, die Ballade mitzusingen.
    Ga griff sich an die Kehle und beugte sich vor. »Bitte, mein Herr«, stieß er hervor, doch der kleine Mann lehnte sich gerade am Rand des Kreises gegen eine Frau, um zu verschnaufen und ein neues Glas zu leeren.
    Plötzlich umkreiste ihn der Winzling von Neuem und ging wieder zum Angriff über – sollte Ga den Schlag abblocken, mit dem Mann diskutieren, weglaufen? Es war zu spät. Ga spürte, wie Knöchel sein Auge streiften, dann brannten seine Lippen und schwollen an, seine Nase explodierte. Hitze stieg ihm in den Schädel, Blut strömte ihm aus der Nase und in die Kehle. Und der kleine Ryoktosan führte zur allgemeinen Erheiterung ein Tänzchen vor, wie es die russischen U-Boot-Matrosen gern auf ihren nächtlichen Landgängen tanzten.
    Ga standen die Tränen in den Augen, und er konnte nur verschwommen sehen. Und schon war der kleine Mann wieder da und landete einen linken Haken. Jetzt reagierte Gas malträtierter Körper reflexhaft, und seine Faust traf den Mann auf die Nase.
    Laut zerbarst die Plastikmaske. Das Männchen stolperte ein paar Schritte zurück, das Blut tröpfelte ihm aus den Nasenlöchern. Ein Ächzen ging durch die versammelte Gästeschar. Der Mann wurde auf einen Stuhl gesetzt, man holte ein Glas Wasser, und schließlich

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