Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
Vom Netzwerk:
zu sagen, dass dein Vater dies und deine Mutter das war. Du kannst sein, wer du willst. Heute Abend bestimmst du dein Leben selbst. Vergiss den Säufer und das Nagelloch in der Wand.«
    Jun Do rutschte vom Hocker und trat ein Stück zurück, um die richtige Distanz für einen Schnapptritt zu haben. Er schloss die Augen, spürte den Raum, sah sein rotierendes Hüftgelenk, das hochschnellende Bein, das Drehmoment der Fußinnenkante, wenn der Fuß herumpeitschte. Sein Leben lang ging es ihm schon so: Leute aus normalen Familien konnten sich einfach nicht vorstellen, dass ein Mann sich vor lauter Trauer nicht zu seinem Sohn bekennen konnte, dass es nichts Schlimmeres gab als eine Mutter, die ihre Kinder verließ, auch wenn so etwas ständig vorkam, und dass Menschen, die weniger als nichts besaßen, als unnütze Diebe verschrien wurden.
    Als Jun Do die Augen wieder öffnete, kapierte Gil plötzlich, was ihm bevorstand.
    Er tastete nach seinem Drink. »Holla, holla«, sagte er. »Tut mir leid. Ich stamme aus einer großen Familie, was weiß ich schon über Waisen? Lass uns gehen, wir haben noch zu tun.«
    »Na gut«, sagte Jun Do. »Dann will ich mal sehen, wie du mit den hübschen Damen in Pjöngjang umspringst.«
    *
    Die Künstlersiedlung lag hinter der Konzerthalle – ein Halbkreis aus kleinen Bungalows, die um eine Thermalquelle angeordnet waren. Aus dem Badehaus floss ein heiß dampfendes Rinnsal mineralisch weiß über bleiche Felsen hinunter zum Meer.
    Sie versteckten den Einkaufswagen, dann machte Jun Do eine Räuberleiter für Gil. Als der auf der anderen Seite des Zauns an das Metalltor trat, zögerte er einen Augenblick, bevor er Jun Do öffnete, und die beiden sahen einander durch die Gitterstäbe hindurch an. Schließlich hob Gil den Riegel und ließ Jun Do herein.
    Kleine Lichtkegel erleuchteten den Pfad aus Steinplatten, der zu Ruminas Bungalow führte. Das Dunkelgrün und Weiß von Magnolien versperrte den Blick auf die Sterne. Die Luft roch nach Zypressen und Zedern und nach Meer. Jun Do riss zwei Streifen Klebeband ab und pappte sie Gil an den Ärmel.
    »So hast du sie gleich zur Hand«, flüsterte Jun Do.
    Gil sah ihn ungläubig begeistert an.
    »Wir stürmen also einfach rein?«, fragte er.
    »Ich übernehme die Tür«, sagte Jun Do. »Du kümmerst dich um das Klebeband auf ihrem Mund.«
    Jun Do löste eine größere Steinplatte aus dem Weg und trug sie zur Tür. Er drückte sie gegen den Knauf, und als er sich mit der Hüfte dagegen warf, sprang die Tür auf. Gil rannte auf die Frau zu, die nur vom Fernseher beleuchtet im Bett saß. Jun Do sah von der Tür aus zu, wie Gil ihr das Band über den Mund klebte, aber dann schien sie in dem weichen Bett und dem Lakengewirr die Oberhand zu gewinnen. Gil ließ ein Büschel Haare. Dann hatte sie ihn am Kragen, was ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Endlich griff er ihren Hals, und sie gingen zu Boden, wo er sich mit seinem vollen Gewicht auf sie warf, sodass sie vor Schmerz ihre Füße verdrehte. Jun Do starrte ihre Zehen lange an: Die Nägel waren leuchtend rot angemalt.
    Anfangs dachte Jun Do noch: Pack sie da, üb hier Druck aus , aber dann bereitete ihm die ganze Sache doch Übelkeit. Als die beiden herumrollten, sah Jun Do, dass sie sich nassgemacht hatte, und die rohe Brutalität des Ganzen kam ihm zum ersten Mal zu Bewusstsein. Gil unterwarf sie, umwickelte ihre Hand- und Fußgelenke mit Klebeband, und dann kauerte sie auf den Knien, während er den Sack auf dem Boden ausbreitete und den Reißverschluss öffnete. Als er die Öffnung für sie aufhielt, verdrehten sich ihre weinenden, weit aufgerissenen Augen, und ihr Körper wurde schlaff. Jun Do setzte die Brille ab; unscharf war das Ganze besser zu ertragen.
    Vor der Tür atmete er tief durch. Er hörte, wie Gil mühsam ihren Körper so hinbog, dass sie in den Sack passte. Die ohne Brille verschwommenen Sterne über dem Meer erinnerten ihn daran, wie frei er sich in der ersten Nacht bei der Überquerung des Ostmeers gefühlt hatte, wie heimisch anBord. Drinnen hatte Gil inzwischen den Sack zugezogen, sodass nur noch Ruminas Gesicht herausschaute. Ihre Nasenflügel blähten sich nach Sauerstoff. Erschöpft, aber lächelnd stand Gil über ihr. Er zog den Stoff seiner Hose über seinen Lenden straff, damit sie den Umriss seiner Erektion sehen konnte. Als sie die Augen aufriss, zog er den Reißverschluss ganz zu.
    Schnell durchwühlten sie ihre Sachen. Gil steckte Yen und eine Kette aus roten und weißen

Weitere Kostenlose Bücher