Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
Vom Netzwerk:
sie, ob sie irgendetwas möchte, egal was.«
    »Vernichten Sie dieses Blatt, sobald wir gegangen sind«, sagte Ga zu ihr. »Ich werde dafür sorgen, dass Sie nach Hause kommen. Brauchen Sie bis dahin irgendwas?«
    »Seife«, antwortete sie.
    »Seife«, übersetzte er für den Geliebten Führer.
    »Seife?«, fragte der Geliebte Führer. »Hast du ihr nicht gerade gesagt, dass sie baden darf?«
    »Keine Seife«, sagte Ga zu ihr.
    »Keine Seife?«, fragte sie. »Dann Zahnpasta. Und eine Zahnbürste.«
    »Sie meinte die Art von Seife, mit der man die Zähne reinigt«, erklärte ihm Ga. »Zahnpasta und Zahnbürste.«
    Der Geliebte Führer starrte erst das Mädchen an, dann Ga. Er wies mit dem Schlüssel auf ihn.
    »Man muss sie wirklich gernhaben, nicht wahr?«, fragte der Geliebte Führer. »Wie kann ich sie aufgeben? Sag, was meinst du – was würden die Amerikaner wohl tun, wenn sieherkämen, mir mein Eigentum zurückgäben, gründlich gedemütigt würden und dann mit nichts als Säcken voller Reis und einem bösartigen Hund wieder abflögen?«
    »Ich dachte, genauso wäre es geplant.«
    »Ja, so war es auch geplant. Aber meine Berater sind allesamt schreckliche Angsthasen. Sie meinen, ich soll die Amerikaner nicht verärgern, ich dürfe sie nur begrenzt unter Druck setzen, und die Amerikaner würden jetzt, wo sie wissen, dass das Rudermädchen lebt, niemals lockerlassen.«
    »Das Mädchen gehört Ihnen«, sagte Ga. »Das ist nun einmal Fakt, das und nichts weiter. Ob sie bleibt oder geht oder in Abteilung 42 verglüht – die Leute müssen begreifen, dass das alles allein von Ihren Wünschen abhängt. Solange die Amerikaner darin ein wenig Nachhilfe bekommen, ist es doch vollkommen uninteressant, was aus ihr wird.«
    »Schon wahr«, gab der Geliebte Führer zu. »Nur will ich sie nicht gehen lassen. Weißt du nicht einen Ausweg?«
    »Wenn das Rudermädchen den Senator träfe und er aus ihrem eigenen Mund zu hören bekäme, dass sie bleiben will, dann ließe sich ein diplomatischer Zwischenfall eventuell vermeiden.«
    Der Geliebte Führer schüttelte den Kopf über diesen unappetitlichen Vorschlag. »Hätte ich doch nur ein zweites Rudermädchen«, sagte er. »Hätte unsere kleine Mörderin hier doch nicht ihre Freundin auf dem Gewissen, dann könnte ich von den beiden diejenige nach Hause schicken, die mir weniger gefällt.« Er lachte. »Das fehlte mir noch, nicht wahr? Mit zwei bösen Mädchen fertigwerden zu müssen.« Er drohte ihr mit dem Zeigefinger. » Bad girl, bad girl «, sagte er und lachte. » Very bad girl. «
    Kommandant Ga holte seine Kamera hervor. »Ich mache am besten ein Vorher-Foto, bevor sie saubergeschrubbt wirdund ihre Maße für den Chosŏnot genommen werden.« Er hockte sich vor die Ruderin und machte ein Foto. »Und vielleicht auch noch eins davon, wie unser Gast den gesamten Wissensschatz unseres siegreichen Führers Kim Jong Il dokumentiert hat.«
    Er nickte ihr zu. »Halten Sie jetzt das Heft hoch.«
    Während Kommandant Ga mit zugekniffenem Auge kontrollierte, ob alles perfekt erfasst war – die Frau und ihr Notizbuch, die Nachricht für Wanda, alles musste scharf eingestellt sein –, sah er durch den Sucher, wie sich der Geliebte Führer hinhockte und mit ins Bild drängelte, wobei er die Ruderin bei der Schulter fasste und an sich zog. Ga starrte das seltsame, gefährliche Bild an, das sich ihm bot, und kam zu dem Schluss, dass Fotoapparate zu Recht verboten waren.
    »Sag ihr, sie soll lächeln«, sagte der Geliebte Führer.
    »Können Sie lächeln?«, fragte Ga.
    Sie lächelte.
    »Im Grunde verlassen sie einen doch am Ende alle«, bemerkte Ga, den Finger auf dem Auslöser.
    Dass diese Worte ausgerechnet dem Kommandanten Ga über die Lippen kamen, entlockte dem Geliebten Führer ein Grinsen. »Das kann man wohl sagen«, erwiderte er.
    Und Ga sagte: » Say ›Cheese‹! «
    Einen Moment später blinzelten der Geliebte Führer und sein geliebtes Rudermädchen von dem hellen Blitz.
    »Ich will Abzüge davon«, sagte der Geliebte Führer, während er mühsam wieder auf die Füße kam.

ICH HATTE DIE ABTEILUNG 42 erst spätabends verlassen und fühlte mich erschöpft. Es war, als fehlten mir Nährstoffe, als verlange mein Körper nach einer Speise, von der ich selbst nicht wusste, ob es sie gibt. Ich dachte an die Hunde im Zoo von Pjöngjang, die nichts als Kohl und matschige Tomaten zu fressen bekamen. Wussten sie, wie Fleisch schmeckt? Ich sog die Luft tief ein, doch sie roch wie immer:

Weitere Kostenlose Bücher