Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
unerträglich«, stöhnte der Geliebte Führer. »Ist denen denn kein Trick zu billig? Sind die sich zu nichts zu schade?«
Der Jet rollte wieder ganz zurück bis zur Startbahn, manövrierte sich in die Startposition und stellte dort die Triebwerke aus. Langsam kippte die dicke Nase des Monstrums hoch, und eine hydraulische Laderampe wurde ausgefahren.
Das Flugzeug war fast einen Kilometer weit weg. Kommandant Park brüllte auf die versammelte Bürgerschaft ein, sie sollten sich in Bewegung setzen. Das Narbengewebe in seinem Gesicht glänzte glasig rosa in der Sonne. Dutzende Kinder rollten ihre Plastikfässer in Richtung Startbahn, Horden gequälter Bürger joggten hinterher. Zwischen den vielen Menschen kaum zu erkennen waren eine kleine Gabelstaplerflotte und die Privatlimousine des Geliebten Führers. Zurück blieben die Musikkapellen, die Grillroste und die kommunistische Landmaschinenausstellung. Kommandant Ga sah, wie Genosse Buc mit seinem gelben Gabelstapler versuchte, das Tempelchen hochzuheben, in dem Sun Moon sich umziehen sollte, aber es wollte sich nicht recht bewegen lassen. Doch wenn Kommandant Park einen antrieb, dann gab es kein Zaudern.
»Lassen sich Amerikaner denn von gar nichts inspirieren?«, fragte der Geliebte Führer, während sie eilends auf das Flugzeug zutrabten. »Schau sie dir an. Haben noch nie von moralischem Auftrieb gehört.« Er wies mit dem Arm aufs Flughafengebäude. »Sieh dir das erhabene Bauwerk Kim Il Sungs an, des obersten Patrioten, Gründers unserer Nation, meines Vaters. Sieh dir das rotgolden leuchtende Mosaik der Juche-Flamme an – wirkt es nicht in der Morgensonne, als stünde es wahrhaft in Flammen? Und was machen die Amerikaner? Sie parken bei den Plumpsklos der Stewardessen und dem Kloakenteich, in den die Flugzeuge ihre Abwassertanks entleeren.«
Sun Moon brach der Schweiß aus. Ga und sie sahen sich an.
»Wird sich das amerikanische Mädchen zu uns gesellen?«, fragte Ga den Geliebten Führer.
»Interessant, dass du sie zur Sprache bringst«, sagte derGeliebte Führer. »Hier habe ich das Glück, mich der Gesellschaft des koreanischsten Ehepaars im ganzen Land zu erfreuen – dem Champion unseres nationalen Kampfsports und seiner Frau, der Filmschauspielerin eines ganzen Volkes. Darf ich euch eine Frage stellen?«
»Nur zu«, antwortete Ga.
»Ich habe vor Kurzem herausgefunden, dass es eine Operation gibt, mit der man einem koreanischen Auge ein westliches Aussehen verleihen kann«, sagte der Geliebte Führer.
»Und wozu soll das gut sein?«, fragte Sun Moon.
»Genau, wozu soll so was gut sein«, wiederholte der Geliebte Führer. »Das bleibt ein Rätsel, aber diese Operation gibt es, das wurde mir versichert.«
Ga spürte, dass sie sich mit diesem Gesprächsthema auf dünnes Eis begaben. »Ja, die Wunder der modernen Medizin!«, sagte er so unverbindlich wie möglich. »Wie schade, dass sie für solch überflüssige Zwecke eingesetzt werden, wo doch so viele Südkoreaner lahm und hasenschartig zur Welt kommen.«
»Wohl gesprochen«, erwiderte der Geliebte Führer. »Doch diese medizinischen Fortschritte können auch eine soziale Bedeutung haben. Heute in den frühen Morgenstunden habe ich die Chirurgen Pjöngjangs zusammengerufen und ihnen die Frage gestellt, ob ein westliches Auge koreanisch gemacht werden könne.«
»Und die Antwort?«, wollte Sun Moon wissen.
»Einstimmig«, antwortete der Geliebte Führer. »Es gebe Eingriffe, mit denen man jede Frau zur Koreanerin machen könne. Von Kopf bis Fuß, meinten sie. Wenn die Ärzte mit ihr fertig wären, würde sie so koreanisch sein wie die Dienerinnen im Grab von König Tangun.« Im Weitergehen fragte er Sun Moon: »Was meinst du, mein Kind? Ob man eine solcheFrau, eine solche neugeschaffene Koreanerin, als Jungfrau bezeichnen könnte?«
Ga wollte antworten, aber Sun Moon unterbrach ihn. »Kraft der Liebe des richtigen Mannes kann eine Frau unschuldiger werden, als sie aus dem Mutterleib gekommen ist«, verkündete sie.
Der Geliebte Führer musterte sie. »Auf dich kann man immer zählen, wenn man eine wohlüberlegte Antwort erhofft«, lobte er. »Aber mal ganz ehrlich: Wenn diese Eingriffe erfolgreich waren, wenn sie voll und ganz wieder in den Urzustand zurückverwandelt worden wäre, würde man sie dann ›sittsam‹ nennen? Wäre sie eine echte Koreanerin?«
Ohne jedes Zögern antwortete Sun Moon: »Auf gar keinen Fall. So eine Frau wäre eine reine Hochstaplerin. ›Koreanisch‹, das ist
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