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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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entziehe. Du darfst nicht hier bleiben, du darfst nicht der sein, der ihn bezahlt.«
    »Ich habe keine Ahnung, wie du auf so etwas kommst. Aber ...«
    »Du bist doch darauf gekommen«, unterbrach sie ihn. »Ich glaube, der Film hat dich auf die Idee gebracht, dass der Mann zurückbleiben muss, wenn er ein Held sein will.«
    »Du bist auf meinem Herzen eintätowiert«, entgegnete er. »Du wirst immer bei mir sein.«
    »Ich rede davon, dass du bei mir sein sollst.«
    »Wir bekommen das schon hin«, versprach er. »Wirklich. Es wird alles klappen. Hab Vertrauen zu mir.«
    »Das macht mir immer am meisten Angst – wenn jemand so redet«, sagte sie und blies den Rauch aus. »Die ganze Sache kommt mir manchmal wie ein großer Parteitreue-Test vor, einer, der so pervers ist, dass nicht mal mein Mann ihn sich hätte ausdenken können.«
    Wie anders war es doch, einmal vorgewarnt zu sein, dass sein Leben sich verändern würde, dachte Ga. Und dazu nochden Zeitpunkt zu kennen, an dem es passieren würde! Verstand Sun Moon das denn gar nicht? Und er lenkte alles selbst. Die Vorstellung, dass die Dinge sich einmal, wenigstens an diesem Morgen, seinem Einfluss beugen würden, brachte ihn zum Lächeln.
    »Dieser Gesichtsausdruck!«, sagte sie. »Du machst mir Angst.«
    Sie kam zu ihm, und er stand auf, um ihr nahe zu sein.
    »Du kommst mit, verstanden?«, sagte sie. »Ohne dich schaffe ich das nicht.«
    »Ich werde immer an deiner Seite sein.«
    Er wollte sie streicheln, aber sie entzog sich ihm.
    »Warum sagst du nicht einfach, dass du mitkommst?«
    »Warum hörst du nicht, was ich dir sage? Natürlich komme ich.«
    Sie sah ihn zweifelnd an. »Meine Schwester, mein Vater, meine andere Schwester, meine Mutter. Und dann mein grausamer Ehemann. Alle sind sie mir weggenommen worden. So etwas darf nicht noch mal geschehen. So soll es nicht geschehen, nicht, wenn man die Wahl hat. Sieh mir einfach in die Augen und sag es.«
    Er tat es, er sah ihr in die Augen. »Du hast gesagt für immer, und das verspreche ich: für immer. Bald wirst du mich nie wieder los.«
    *
    Sun Moon zog den weißen Chosŏnot an und hängte den roten und den blauen hinten in den Mustang. Ga zog die Cowboystiefel an, steckte die Büchse Pfirsiche in den Rucksack und klopfte auf seine Tasche, ob er auch seinen Fotoapparat dabei hatte. Das Mädchen rannte dem Hund mit dem Strick hinterher, um ihn anzuleinen.
    Der Junge kam angelaufen. »Meine Vogelfalle ist weg«, berichtete er atemlos.
    »Die können wir sowieso nicht mitnehmen«, sagte Sun Moon.
    »Mitnehmen wohin?«, wollte der Junge wissen.
    »Wir basteln eine neue«, versicherte ihm Ga.
    »Ich wette, da ist ein Riesenvogel reingegangen. Mit Flügeln, die so stark sind, dass er mit der Falle weggeflogen ist«, sagte der Junge.
    Sun Moon stand vor dem Schrein mit dem Goldgurt ihres Mannes. Ga trat neben sie und betrachtete die glitzernden Juwelen und goldenen Arabesken, die so hell funkelten, dass ihr Träger sich jede Frau im ganzen Land hätte nehmen dürfen.
    »Lebwohl, mein Ehemann«, sagte sie und knipste das Licht aus, das die Vitrine beleuchtete. Einen Augenblick lang stand sie vor dem Kasten mit ihrer Gayageum, der in der Ecke thronte. Die Tragik stand ihr ins Gesicht geschrieben, als sie stattdessen nach dem primitiven westlichen Instrument, der Gitarre, griff .
    Draußen vor dem Spalier fotografierte er seine Familie; weiß leuchteten die Bohnenblüten, und die Ranken der Riesenmelone, der ganze Stolz des kleinen Mädchens, schlängelten sich an den Latten empor. Das Mädchen hielt den Hund im Arm, der Junge den Laptop, und Sun Moon hielt das fürchterliche amerikanische Instrument. Das Licht war wunderschön, und Ga wünschte, das Bild wäre für ihn bestimmt, nicht für Wanda.
    In seiner besten Militäruniform setzte Kommandant Ga langsam den Mustang in Bewegung, Sun Moon neben ihm auf dem Beifahrersitz. Es war ein herrlicher Morgen – das Licht goldgelb, die Schwalben flogen im Sturzflug um die Gewächshäuser des Botanischen Gartens und stießen die Schnäbel wie Essstäbchen in die dort stehende Insektenwolke. Sun Moon lehnte mit dem Kopf an der Scheibe und starrte melancholisch hinaus auf den Zoo und den Friedhof der Revolutionshelden. Er wusste nun, dass dort kein Großonkel von ihr begraben lag, dass sie nichts als die Tochter eines Zinkgrubenarbeiters aus Huch'ang war, und doch schienen die langen Reihen der Bronzebüsten grüßend in der Morgensonne aufzulodern. Der Glimmer in den

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