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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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Urins, der stockend und stotternd das Glas füllte.
    Der Kapitän versuchte, den Klang zu übertönen. »Jedenfalls musst du gut darüber nachdenken. Du bist jetzt ein Held und wirst gefragt werden, was du gerne als Belohnung hättest. Und, wie sieht’s aus, gibt es etwas, was du dir wünschst?«
    Als Jun Do fertig war, öffnete er die Augen und reichte dasGlas vorsichtig an den Kapitän weiter. »Das Einzige, was ich wirklich will«, sagte er, »ist, auf der Junma zu bleiben. Da fühle ich mich wohl.«
    »Natürlich«, antwortete der Kapitän. »Da steht ja auch deine Ausrüstung.«
    »Und es gibt nachts Strom.«
    »Und es gibt nachts Strom«, sagte der Kapitän. »Wird gemacht. Du bist von jetzt an auf der Junma zu Hause. Das ist ja wohl das Mindeste, was ich für dich tun kann. Aber was willst du wirklich, welchen Wunsch können dir nur die da oben erfüllen?«
    Jun Do zögerte. Er trank einen Schluck Bier und rätselte, was ihm sein Land geben konnte, um sein Leben schöner zu machen.
    Der Kapitän spürte seine Unentschlossenheit und fing an, von anderen zu erzählen, die große Taten begangen hatten, und welche Preise sie sich gewünscht hatten. »Die Männer in Nyŏngbyŏn zum Beispiel, die das Feuer im Kernkraftwerk gelöscht haben – der eine hat ein Auto bekommen, das stand in der Zeitung. Ein anderer wollte ein eigenes Telefon – hat er gekriegt, keine Fragen, die haben ihm eine Leitung in die Wohnung gelegt. So läuft’s, wenn man ein Held ist.«
    »Da muss ich erst mal nachdenken«, sagte Jun Do. »So spontan fällt mir nichts ein.«
    »Siehst du, das habe ich mir gedacht«, erwiderte der Kapitän. »Genau so habe ich dich eingeschätzt, wir sind ja eine Familie. Du bist jemand, der nicht viele Ansprüche hat. Du bist jemand, der nichts für sich selbst will, aber für die anderen darf es nur das Beste sein. Das hast du vor ein paar Tagen bewiesen, und jetzt sind wir wie Blutsverwandte. Du weißt ja, dass ich für meine Mannschaft in den Knast gegangen bin. Ein Held bin ich nicht, aber ich habe die vier Jahre auf michgenommen, damit meine Jungs heim konnten. So habe ich das bewiesen.«
    Der Kapitän wirkte aufgewühlt. Er hielt immer noch das Pisseglas in der Hand, und Jun Do hätte ihm am liebsten gesagt, er solle es abstellen. Der Kapitän rutschte auf die Stuhlkante vor, als wolle er sich gleich zu Jun Do auf die Pritsche setzen.
    »Ich bin alt. Vielleicht ist es ja nur das«, sagte der Kapitän. »Ich meine, andere Leute haben ja auch Probleme. Vielen geht es schlechter als mir. Aber ich kann einfach nicht ohne sie leben, ich kann es nicht. Ständig denke ich daran, kriege es einfach nicht aus dem Kopf. Ich habe keinen Hass oder Zorn auf irgendjemanden, ich brauche einfach nur meine Frau, ich muss sie wiederhaben. Und siehst du, du hast es jetzt in der Hand. Bald darfst du das Zauberwort sagen, und dann ist alles möglich.«
    Jun Do wollte etwas erwidern, aber der Kapitän schnitt ihm das Wort ab. »Ich weiß, was du denkst – natürlich ist sie alt. Ich bin auch alt, aber mit dem Alter hat das nichts zu tun. Ich hab sogar das Gefühl, dass es jedes Jahr schlimmer wird. Wer hätte das gedacht, dass die Einsamkeit schlimmer wird? Das sagt einem vorher keiner, darüber redet niemand.« Der Kapitän hörte die Hunde auf dem Dach herumlaufen und blickte hoch zur Decke. Er stellte das Glas ab und stand auf. »Eine Zeitlang wären wir uns natürlich fremd«, sagte er. »Über manche Dinge könnte sie nicht reden, das weiß ich. Aber es wäre bestimmt auch wie ein neues Kennenlernen, da bin ich mir sicher. Und dann wäre es wieder so wie früher.«
    Der Kapitän nahm die Seekarte. »Brauchst nichts zu sagen«, meinte er. »Sag einfach gar nichts. Denk nur mal drüber nach, um mehr bitte ich dich nicht.« Dann rollte der Kapitän die Karte im Kerzenschein mit beiden Händen fest zusammen. Es war eine Geste, die Jun Do schon hunderte Male bei ihm gesehen hatte. Sie besagte, dass ein Kurs gewählt, den Männern ihre Aufgabe zugeteilt war; gleichgültig, ob volle oder leere Netze auf sie warteten, der Entschluss war gefasst, der Lauf der Dinge ins Rollen gebracht.
    *
    Von unten im Hof kam Gejohle, gefolgt von Lachen oder Weinen, das ließ sich nicht genau sagen, und Jun Do wusste, dass inmitten der Gruppe von Betrunkenen die Frau des Zweiten Maats stand. Von oben waren die Klauen der Hunde zu hören, die sich am Rand des Flachdachs drängten und bellten. Der Lärm drang selbst in den zehnten Stock hinauf,

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