Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
Vom Netzwerk:
Geräusch der Tür geweckt, die sich hinter ihr schloss. Er rutschte ein wenig zur Seite, bis er die andere Zimmerecke sehen konnte. Da war die Schüssel, in der sie sich wusch. Er wünschte, er könnte den Arm danach ausstrecken und fühlen, ob das Wasser noch warm war.
    In der Abenddämmerung schaute der Kapitän vorbei. Er zündete ein paar Kerzen an und setzte sich. Jun Do sah vom Bett aus, dass er einen Beutel dabeihatte. »Guck, was ich dir mitgebracht habe, mein Junge«, sagte der Kapitän und holte eine dicke Scheibe Thunfisch und zwei Ryoksong-Bier heraus. »Zeit, dass du wieder gesund wirst.«
    Der Kapitän machte die Flaschen auf und schnitt den rohen Fisch mit seinem Seemannsmesser in Portionen. »Auf die Helden«, sagte der Kapitän, woraufhin beide ein halbherziges Schlückchen tranken. Der Thunfisch war allerdings genau das Richtige. Jun Do ließ sich das Fett des Meeres auf der Zunge zergehen.
    »Guter Fang heute?«, fragte Jun Do.
    »Gar nicht übel«, antwortete der Kapitän. »Der Zweite Maat und du, ihr habt natürlich gefehlt. Wir haben ein paar Schiffsjungen von der Kwan Li ausgeliehen. Du hast ja gehört, dass ihr Kapitän seinen Arm verloren hat, oder?«
    Jun Do nickte.
    Der Kapitän schüttelte den Kopf. »Tut mir wirklich leid, wie sie dich zugerichtet haben. Ich wollte dich noch warnen. Aber gebracht hätte das ja auch nichts.«
    »Na, jetzt ist es vorbei«, erwiderte Jun Do.
    »Das Schlimmste ist vorbei, und du hast hervorragend durchgehalten, das hätte außer dir keiner geschafft. Und jetzt kommen wir zur Belohnung«, sagte der Kapitän. »Sie lassen dir genug Zeit, bis alles verheilt ist. Und dann wollen sie dich natürlich vorführen. Ein Held, der trotz vorgehaltener Waffe sein Leben riskiert, um einen anderen Helden zu retten, den die Amerikaner den Haien zum Fraß vorgeworfen haben? Sag selbst, das ist eine Riesengeschichte für sie. Du wirst dich noch als sehr nützlich erweisen. Nach der Sache mit dem Direktor der Konservenfabrik und der mit dem Kapitän der Kwan Li brauchen sie dringend ein paar gute Nachrichten. Du darfst dir garantiert aussuchen, was du als Belohnung willst.«
    »Auf der Sprachschule war ich schon«, sagte Jun Do, dann fügte er hinzu: »Glaubst du, dass er zurücktreiben könnte, bei den ganzen Strömungen und so?«
    »Wir lieben den Jungen alle«, antwortete der Kapitän. »Da lief so einiges falsch, aber für ihn gibt es keinen Weg zurück. Er ist raus aus der Geschichte. Die Geschichte geht jetzt anders. Das musst du endlich kapieren. Die Kleine, die kommt damit zurecht, oder?«
    Doch bevor Jun Do Antwort geben konnte, bemerkte der Kapitän die Seekarte an der Wand. Es war düster im Zimmer, und er stand mit der Kerze in der Hand auf. »Ich fass es nicht«, sagte er. Er zog die Stecknadeln heraus und warf die Karte zornig zu Boden. »Eine Woche ist er schon weg, und dieser kleine Mistkerl quält mich immer noch.« Er riss die Karte von der Wand. »Ich muss dir übrigens noch was sagen«, fügte der Kapitän hinzu. »Als wir dachten, der Zweite Maat hätte nichts mitgenommen, haben wir nicht genau genug nachgeguckt. Den Laderaum unten, wo deine Ausrüstung steht, den hatten wir nicht überprüft.«
    »Und?«
    »Eins von deinen Geräten ist weg. Er hat einen Funkempfänger mitgenommen.«
    »Den schwarzen?«, fragte Jun Do. »Oder den mit den silbernen Knöpfen?«
    »Den mit den grünen Anzeigen«, antwortete der Kapitän. »Ist das ein Problem? Kann uns das schaden?«
    Jun Do sah es auf einmal glasklar vor sich: Der Zweite Maat auf seinem Rettungsfloß in der Finsternis, und dazu nichts als eine Batterie, ein grün glimmender Funkempfänger und Zigaretten ohne Streichhölzer.
    »Das ist ein ziemlich einfacher Empfänger«, sagte Jun Do. »Wir können irgendwo einen neuen organisieren.«
    »So lob ich’s mir«, sagte der Kapitän. Er lächelte. »Mensch, was bin ich für ein Idiot! Hier, iss noch was vom Thunfisch! Und die Kleine, wie findest du sie? Ich hab mit ihr geredet. Sie hält ziemlich viel von dir. Und überhaupt – brauchst du irgendwas, soll ich dir was bringen?«
    Das Bier lief direkt durch ihn durch. »Das Glas da«, sagte Jun Do. »Gib mir das doch mal.«
    »Na klar«, sagte der Kapitän, beäugte es aber äußerst misstrauisch. Erst schien er daran schnüffeln zu wollen, reichte es dann aber doch einfach weiter.
    Jun Do drehte sich auf die Seite und nahm das Glas mit unters Laken. Dann war nichts mehr im Zimmer zu hören als das Geräusch des

Weitere Kostenlose Bücher