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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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er zurückkam, war die Wohnungstür offen. Der Alte, der ihn verhört hatte, stand im Zimmer und hielt die Nikes in der Hand. »Was um alles in der Welt habt ihr hier auf dem Dach?«, fragte er.
    »Hunde«, antwortete Jun Do.
    »Schmutzige Tiere. Du weißt ja bestimmt, dass die inPjöngjang verboten sind. Und das ist auch gut so. Schweinefleisch schmeckt viel besser.« Er hielt die Schuhe hoch. »Was ist das hier?«
    »Das sind amerikanische Schuhe«, antwortete Jun Do. »Eines Nachts hingen sie in unseren Netzen.«
    »Was du nicht sagst. Und was macht man damit?«
    Schwer zu glauben, dass ein Verhörspezialist aus Pjöngjang noch nie anständige Sportschuhe zu Gesicht bekommen hatte. Vorsichtshalber sagte Jun Do: »Ich glaube, die sind zum Rennen.«
    »Stimmt, davon habe ich gehört«, erwiderte der Alte. »Den Amerikanern macht es Spaß, sinnlose Anstrengungen zu vollführen.« Er zeigte auf das Sendegerät. »Und das da?«
    »Das ist von meiner Arbeit«, antwortete Jun Do. »Ich muss das Gerät reparieren.«
    »Schalt es an.«
    »Es ist nicht fertig.« Jun Do zeigte auf die Schüssel mit den Einzelteilen. »Und eine Antenne hat es auch nicht.«
    Der Alte stellte die Schuhe zurück und trat ans Fenster. Die Sonne stand hoch am Morgenhimmel; obwohl das Wasser so tief war, schimmerte es in diesem Licht hellblau.
    »Was für eine Aussicht«, sagte er. »Das könnte ich mir ewig angucken.«
    »Ja, das Meer ist großartig.« Jun Do ging auf Nummer sicher.
    »Wenn man da unten auf den Anleger ginge und seine Angel ins Wasser hielte, würde man da was fangen?«, fragte der Alte.
    Wenn man wirklich etwas fangen wollte, musste man die Angel ein Stück weiter südlich reinhalten, wo Fischinnereien aus den Abflussrohren der Konservenfabrik ins Meer flossen, aber Jun Do sagte: »Ja, bestimmt.«
    »Und in Wŏnsan«, sagte der Alte. »Da gibt es doch Strände, oder?«
    »Ich war noch nie da«, antwortete Jun Do. »Aber vom Schiff aus haben wir Sandstrand gesehen.«
    »Da«, sagte der Alte. »Das habe ich dir mitgebracht.« Er überreichte Jun Do eine purpurrote Samtschatulle. »Das ist deine Heldenmedaille. Ich könnte sie dir jetzt anstecken, aber ich merke schon, dass du kein Medaillentyp bist. Das gefällt mir an dir.«
    Jun Do klappte das Kästchen nicht auf.
    Der Alte sah wieder zum Fenster hinaus. »Wenn man in dieser Welt überleben will, muss man die meiste Zeit ein Feigling sein, aber einmal auch ein Held.« Er lachte. »Zumindest hat das mal ein Typ zu mir gesagt, als ich ihn windelweich geprügelt habe.«
    »Ich will nur zurück auf mein Schiff«, sagte Jun Do.
    Der Alte musterte Jun Do. »Sieht so aus, als wäre dein Hemd vom Salzwasser eingegangen«, sagte er. Er zog Jun Do den Ärmel hoch, um sich seine Wundnähte anzusehen, die immer noch rote Ränder hatten und an den Enden nässten.
    Jun Do zog den Arm weg.
    »Immer schön mit der Ruhe, Tiger. Du hast noch jede Menge Zeit zum Fischen. Erst mal müssen wir den Amerikanern zeigen, was eine Harke ist. Angeblich gibt es schon einen Plan. Du musst also bald wieder vorzeigbar aussehen. Momentan sieht es eher so aus, als hätten die Haie gewonnen.«
    »Sie spielen mit mir, oder?«
    Der Alte lächelte. »Wie meinst du das?«
    »Dass Sie mir Fragen nach Wŏnsan stellen, wo doch jeder Idiot weiß, dass da keine Pensionäre sind. An dem Strand machen nur die Militärobersten Urlaub, das weiß doch jeder. Warum sagen Sie nicht einfach, was Sie von mir wollen?«
    Ein unsicherer Ausdruck huschte über das Gesicht des alten Vernehmungsbeamten, schließlich lächelte er. »Na, na«, sagte er, »ich soll dich aus dem Konzept bringen, nicht umgekehrt.« Er lachte. »Aber ganz im Ernst. Wir sind beide staatlich anerkannte Helden. Wir sitzen im selben Boot. Wir haben den Auftrag, es den Amerikanern heimzuzahlen, die dir das angetan haben. Als Erstes muss ich allerdings wissen, ob du irgendwelchen Ärger mit dem Kapitän hattest. Wir wollen keine üblen Überraschungen.«
    »Ärger?« fragte Jun Do. »Nein, natürlich nicht.«
    Der Alte sah zum Fenster hinaus. Die halbe Fischereiflotte war ausgelaufen, aber die Netze der Junma waren über den Kai zum Trocknen ausgebreitet, damit sie später geflickt werden konnten.
    »Na, dann ist ja gut. Vergiss es. Ich glaub’s dir, wenn du sagst, dass du ihn nicht verärgert hast.«
    »Der Kapitän ist wie ein Vater für mich«, erwiderte Jun Do. »Spucken Sie’s aus, wenn Sie was über ihn zu sagen haben.«
    »Ach, nichts. Er war bloß bei mir

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