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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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habe er sein Leben lang nurgeraucht, geplaudert und auf Dosen geschossen, die sein Personal für ihn aufbaute, anstatt sich im geparkten Wagen mit der Rodong Sinmun die Zeit zu vertreiben, bis Dr. Song von der nächsten Besprechung zurückkehrte.
    »Korea ist ein Land der Berge«, sagte Dr. Song. »Jeder Schuss hallt sofort von den Wänden der Schluchten wider. Hier aber verschwindet der Knall in der Ferne.«
    Dem musste Jun Do zustimmen. In einer Landschaft, in der ein Schuss keinerlei Echo erzeugte, sondern einfach geschluckt wurde, musste man sich wahrhaft verloren fühlen.
    Der Minister traf erstaunlich gut; bald schon täuschte er Schüsse aus der Hüfte an und versuchte sich an diversen Kunststückchen, während Tommy für ihn nachlud. Alle sahen zu, wie der Minister ganze Schachteln voller Patronen verfeuerte, in jeder Hand einen Revolver, eine Zigarette zwischen den Lippen, während die Dosen nur so tanzten und hüpften. Heute war er der Minister, heute wurde er herumgefahren, heute hatte er die Hand am Abzug.
    Der Minister drehte sich zu ihnen um und sagte: » Zwei glorreiche Halunken «, sagte er und blies auf den Rauch vor der Mündung. »Clint Eastwood.«
    *
    Das einstöckige, erstaunlich weitläufige Ranchhaus lag halb hinter Bäumen versteckt. Auf einem eingepferchten Gelände standen Picknicktische und ein Planwagen mit Grill, an dem bereits mehrere Leute für ihr Mittagessen anstanden. Die Zikaden zirpten, und Jun Do roch die Grillkohle. Eine leichte Mittagsbrise regte sich, aber die Ambosswolken am Horizont waren zu weit entfernt, um Regen zu bringen. Freilaufende Hunde sprangen durch den Gatterzaun; als sich etwas in einem weit entfernten Gebüsch regte, standen sie plötzlich mit gesträubtem Nackenfell ganz still. »Fass!«, befahl ihnen der Senator im Vorbeigehen, und die Hunde flitzten los und scheuchten einen Schwarm kleiner Bodenvögel auf.
    Als die Hunde zurückkamen, holte der Senator eine Belohnung aus der Tasche. Offensichtlich, dachte Jun Do, prügelte der Kommunismus seine Hunde zum Gehorsam, während der Kapitalismus dasselbe Ziel mit Bestechung erreichte.
    Beim Schlangestehen am Grill galten keine Privilegien – der Senator musste sich genauso einreihen wie die Rancharbeiter, die Hausangestellten, die Wachschutzleute in den schwarzen Anzügen und die Frauen texanischer Regierungsbeamter. Während der Minister an einem Picknicktisch Platz nahm und von der Frau des Senators Essen serviert bekam, mussten Dr. Song und Jun Do mit Papptellern in der Hand anstehen. Der junge Mann neben ihnen stellte sich als Doktorand an der Universität vor. Er promoviere über das nordkoreanische Nuklearprogramm. Er beugte sich dicht zu ihnen vor und fragte sehr leise: »Sie wissen ja, dass der Süden den Krieg gewonnen hat, oder?«
    Ihnen wurden Rinderrippchen, im Blatt gegrillte Maiskolben, marinierte Tomaten und ein Löffel Makkaroniauflauf auf den Teller gehäuft. Dr. Song und Jun Do gingen auf den Tisch zu, an dem der Minister bereits mit dem Senator und seiner Frau aß. Hunde folgten ihnen.
    Dr. Song setzte sich zu ihnen. »Bitte, setz dich doch zu uns«, sagte er zu Jun Do. »Es gibt ja reichlich Platz, nicht wahr?«
    »Nein danke«, erwiderte Jun Do. »Sie haben sicherlich wichtige Angelegenheiten zu besprechen.«
    Er setzte sich allein an einen Picknicktisch, dessen Holzplanken mit eingeritzten Initialen verunstaltet waren. DasFleisch schmeckte süß und würzig scharf zugleich, die Tomaten sauer, aber der Mais und die Nudeln waren durch Butter und Käse ungenießbar gemacht worden. Beides kannte er nur aus den Dialogen auf den Übungsbändern in der Sprachschule: Ich möchte Käse kaufen. Könnten Sie mir bitte die Butter reichen?
    Über ihnen kreiste ein großer Vogel, den er nicht kannte.
    Wanda setzte sich zu ihm. Sie leckte einen weißen Plastiklöffel ab.
    »Mein Gott, war das lecker«, sagte sie. »Den Nachtisch dürfen Sie sich auf keinen Fall entgehen lassen.«
    Er hatte gerade ein Rippchen abgenagt und die Hände voller Soße.
    Sie nickte zum Ende des Tischs, wo ein Hund saß und ihn geduldig anstarrte. Er hatte graublaue Augen und grau gestromtes Fell. Wie schaffte es dieser offensichtlich wohlgenährte Hund, haargenau den Blick eines Waisenjungen nachzuahmen, der ans Ende der Essensreihe geschickt worden war?
    »Machen Sie ruhig. Warum nicht?«, ermutigte Wanda ihn.
    Jun Do warf dem Hund den Knochen zu, der fing ihn noch im Flug.
    »Das ist ein Catahoula«, sagte sie. »Ein Geschenk

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