Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
vom Gouverneur von Louisiana für die Nothilfe nach dem Hurrikan.«
Jun Do nahm sich das nächste Rippchen vor. Er konnte nicht aufhören, Fleisch in sich hineinzustopfen, auch wenn es sich bereits in seiner Kehle anzustauen schien.
»Wer sind die ganzen Leute?«, fragte er.
Wanda sah sich um. »Ein paar Denkfabrikanten, ein paar NGO-Vertreter, der Rest Schaulustige. Wir kriegen hier nicht jeden Tag Nordkoreaner zu sehen, wissen Sie.«
»Und Sie?«, fragte er. »Sind Sie von einer Denkfabrik, oder sind Sie schaulustig?«
»Ich bin die finstere Gestalt vom Nachrichtendienst«, antwortete sie.
Jun Do starrte sie an.
Sie grinste. »Was? Sehe ich etwa nicht finster aus?«, fragte sie. »Ich bin total für Open Source. Man soll alles miteinander teilen. Los, fragen Sie mich, was Sie wollen.«
Tommy überquerte den Korral mit einem Becher Eistee in der Hand; offensichtlich hatte er bis eben die Angelruten und Revolver verstaut. Jun Do sah zu, wie er sich am Grill anstellte; als er sein Essen bekam, machte er zum Dank eine kleine Verbeugung.
Jun Do sagte zu Wanda: »Sie schauen mich an, als ob ich noch nie im Leben einen schwarzen Menschen gesehen hätte.«
Wanda zuckte die Achseln. »Kann doch sein.«
»Ich hatte schon mit der U. S. Navy zu tun«, sagte Jun Do. »Da gibt es viele Schwarze. Und mein Englischlehrer kam aus Angola. Er war der einzige Schwarze in der ganzen DVRK. Er meinte, er fühle sich nicht ganz so einsam, wenn er uns allen seinen afrikanischen Akzent beibringen könnte.«
Wanda sagte: »Ich habe mal gehört, in den Siebzigern wäre ein amerikanischer Soldat auf die falsche Seite der DMZ geraten. Ein junger Kerl aus North Carolina, war wohl betrunken. Die Nordkoreaner machten ihn zum Sprachlehrer, mussten ihn aber bald wieder entlassen, weil er allen Geheimagenten beibrachte, wie ein Südstaaten-Prol zu reden.«
Jun Do wusste nicht, was ein »Prol« war. »Von der Geschichte habe ich noch nie gehört«, erwiderte er. »Ich bin kein Agent, falls Sie das damit andeuten wollen.«
Wanda sah zu, wie er das nächste Rippchen abnagte. »Ichwundere mich, dass Sie mein Angebot gar nicht interessiert. Ich beantworte jede Art von Fragen«, sagte sie. »Ich wäre jede Wette eingegangen, dass Sie fragen würden, ob ich Koreanisch kann.«
»Können Sie’s?«, fragte er.
»Nein, aber ich merke, wenn jemand nicht eins zu eins dolmetscht«, antwortete sie. »Deswegen gehe ich davon aus, dass Sie mehr als nur ein einfacher Dolmetscher sind.«
Drüben an dem anderen Picknicktisch standen Dr. Song und der Minister auf. Dr. Song verkündete: »Der Minister möchte dem Senator und seiner Frau seine Gastgeschenke überreichen. Für den Senator Die Gesammelten Werke von Kim Jong Il .« Er überreichte die elfbändige Prachtausgabe im Schuber.
Eine Mexikanerin kam gerade mit einem Essenstablett vorbei. »EBay«, sagte sie zu Wanda.
»Pilar, Pilar«, rief Wanda ihr hinterher. »Du bist eine ganz Schlimme!«
Der Senator nahm das Geschenk lächelnd entgegen. »Sind sie signiert?«, fragte er.
Auf Dr. Songs Gesicht zeichnete sich kurz Ratlosigkeit ab. Er steckte den Kopf mit dem Minister zusammen. Jun Do konnte nichts verstehen, aber die Worte flogen hitzig zwischen ihnen hin und her. Dann sagte Dr. Song lächelnd: »Es wäre dem Geliebten Führer Kim Jong Il eine Freude, eine persönliche Widmung in die Bücher zu schreiben, wenn der Herr Senator uns in Pjöngjang die Ehre erweist.«
Als Gegengeschenk überreichte der Senator dem Minister einen mit Countrymusik bespielten iPod.
Dann hob Dr. Song zu einer Lobrede auf die Schönheit und Anmut der Senatorengattin an, während der Minister sich bereitmachte, ihr die Kühlbox zu überreichen.
Jun Do hatte auf einmal wieder den Fleischgeruch in der Nase. Er legte sein Rippchen weg und wandte den Blick ab.
»Was ist?«, fragte Wanda. »Was ist da drin?«
Gleich würde die Stimmung kippen. Bisher war alles, was aus Dr. Songs Trickkiste gekommen war, witzig gewesen, aber die Sache mit dem Tiger war ernster – die Amerikaner brauchten nur einmal an dem Fleisch zu schnuppern, und sie wussten, dass es verdorben war, ganz buchstäblich ein fauler Trick, und nichts wäre mehr so wie zuvor.
»Darf ich wirklich jede Frage stellen?«, fragte Jun Do.
»Natürlich. Was denn?«, fragte Wanda.
Er nahm ihre Hand und schrieb den Namen des Zweiten Maats hinein.
»Ich muss unbedingt wissen, ob er es geschafft hat«, sagte Jun Do. »Ist er rausgekommen?«
Wanda machte mit
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