Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
Vom Netzwerk:
bin das Hausmädchen«, sagte Pilar. »John Doe? Nennt man so nicht Leute, die vermisst werden?«
    »Ich heiße Pak Jun Do«, berichtigte Jun Do und wiederholte es noch einmal ganz langsam und deutlich: » Dchun Doh. «
    Pilar sah sich interessiert die Kühlbox an; jemand hatte versuchte, die Insignien des Roten Kreuzes davon zu entfernen. »Mein Neffe Manny fährt einen Wagen, mit dem Organe und Augen und so’n Zeug zwischen den Krankenhäusern hin und her transportiert werden«, sagte sie. »Die stecken in genau so einer Kühlbox.«
    Die Frau des Senators zog Latexhandschuhe über. »Im Grunde ist ein John Doe kein Vermisster. Ein John Doe ist ein Mann ohne Identität.«
    Wanda blies in ihre Latexhandschuhe. »Ein John Doe hat sehr wohl eine Identität«, sagte sie und musterte den Patienten. »Sie muss nur noch festgestellt werden.«
    Die Frau des Senators goss großzügig Wasserstoffperoxid über Jun Dos Arm und verrieb es auf den Wundnähten. »So lösen sich die Fäden einfacher.«
    Wanda fragte: »Ist es in Ordnung, wenn eine Frau Sie behandelt?«
    Jun Do nickte. »In Korea gibt es fast nur Ärztinnen«, sagte er. »Ich war allerdings noch nie da.«
    »Bei einer Ärztin?«, fragte Wanda.
    »Oder generell bei einem Arzt?«, fragte die Frau des Senators.
    »Generell bei einem Arzt«, antwortete er.
    »Auch nicht bei der Tauglichkeitsprüfung für die Armee?«, fragte die Frau des Senators.
    »Ich war wohl noch nie krank«, antwortete er.
    »Und wer hat Sie zusammengeflickt?«
    »Ein Freund«, antwortete Jun Do.
    »Ein Freund?«
    »Ein Kollege.«
    Während die Wunde schäumte, hob die Frau des Senators Jun Dos Arme hoch, streckte sie zur Seite, dann nach vorn und folgte mit den Augen unsichtbaren Linien an seinem Körper. Sie bemerkte die Brandnarben an der Unterseite seiner Arme – die Kerzenflammen vom Schmerztraining. Sie berührte die Narbenränder mit den Fingerspitzen. »Eine schlimme Stelle für Verbrennungen«, sagte sie. »Die Haut ist hier sehr empfindlich.« Sie fuhr mit der Hand über seine Brust zum Schulterblatt. »Diese Verdickung hier«, sagte sie. »Das ist ein gerade erst verheilter Schlüsselbeinbruch.« Sie nahm seine Hände, als wolle sie einen Ring küssen, und betrachtete die Ausrichtung der Fingerknochen. »Soll ich Sie einmal richtig durchchecken? Haben Sie irgendwelche Schmerzen?«
    Er war nicht mehr so muskulös wie damals beim Militär, aber er hatte einen kräftigen Körperbau und spürte, wie die Frauen ihn ansahen.
    »Nein«, antwortete er. »Es sind nur die Fäden, die jucken wie verrückt.«
    »Die haben wir im Handumdrehen gezogen«, sagte sie. »Darf ich fragen, was passiert ist?«
    »Darüber würde ich lieber nicht sprechen«, sagte er. »Das stammt von einem Hai.«
    » Madre de Dios «, sagte Pilar.
    Wanda stand neben der Frau des Senators. Sie hielt einen weißen Verbandskasten von der Größe eines Aktenkoffers auf. »Sie sprechen von denen mit den Zähnen, die im Meer leben?«, fragte Wanda.
    »Ich habe viel Blut verloren«, sagte er.
    Die Frauen starrten ihn stumm an.
    »Mein Freund hatte weniger Glück«, fügte er hinzu.
    »Ich verstehe«, sagte die Frau des Senators. »Tief einatmen.«
    Jun Do atmete ein.
    »So tief Sie können«, sagte sie. »Heben Sie die Schultern.«
    Er atmete so tief er konnte, und verzog dabei das Gesicht.
    Die Frau des Senators nickte. »Die elfte Rippe. Noch nicht ganz verheilt. Ganz ehrlich, nutzen Sie die Gelegenheit. Ich kann Sie gern gleich richtig untersuchen.«
    Roch sie etwa an seinem Atem? Jun Do hatte das Gefühl, dass sie so einiges bemerkte, wovon sie ihm nichts sagte. »Nein, danke, Ma’am«, erwiderte er.
    Wanda suchte eine Pinzette und eine kleine, spitze Schere heraus. Jun Do hatte insgesamt neun Bisswunden, und die Frau des Senators fing mit der längsten oben auf seinem Bizeps an.
    Pilar deutete auf seine Brust. »Wer ist das?«
    Jun Do sah an sich herunter. Er wusste nicht, was er sagen sollte. »Meine Frau.«
    »Wunderschön«, sagte Pilar.
    »Sie ist wirklich schön«, sagte Wanda. »Auch die Tätowierung ist gut gemacht. Dürfte ich sie fotografieren?«
    Jun Do war bisher erst einmal in seinem Leben fotografiert worden, von der alten Japanerin mit dem Holzstativ, und das Bild, das dabei herausgekommen war, hatte er nie gesehen. Trotzdem verfolgte ihn der Gedanke, was sie in der Kamera gesehen haben mochte. Dennoch wusste er nicht, wie er nein sagen sollte.
    »Toll«, sagte Wanda und machte mit einer kleinen Kamera

Weitere Kostenlose Bücher