Das geraubte Paradies
letzten Monaten seines Dienstes bei der Tribunalpalastgarde auf die Macht seiner Templerrüstung verlassen. Diese Nachlässigkeit rächte sich jetzt.
Er stach probeweise in Richtung seines Gegners. Der sprang zur Seite. Mit erschreckender Schnelligkeit zuckte dessen Waffe vor und traf Jonans rechten Handrücken. Brennender Schmerz flammte in seiner Hand auf, und Blut trat aus der Wunde. Ein weiterer Fluch kam über Jonans Lippen. Er wechselte sein Messer von der Rechten in die Linke, stach dann aber nicht zu, sondern ballte die Faust um den Griff und versuchte, einen linken Schwinger zu landen. Sein Gegner mochte schneller sein als er und geübt im schmutzigen Straßenkampf, aber stärker war er mit Sicherheit nicht, und wie zäh er war, würde sich noch erweisen.
Mit dumpfem Klatschen traf Jonans Faust und brach dem Wegelagerer die Nase. Keuchend taumelte der Mann zwei Schritte rückwärts. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und blickte auf das hellrote Blut, das seine Finger besudelte. Anschließend hob er den Kopf. In seinen dunklen Augen glühte Mordlust.
Jonan hob sein Kampfmesser. »Na los«, versuchte er, ihn zu reizen. »Komm her, wenn du was von mir willst.«
Die Lippen seines Gegners verzogen sich zu einem höhnischen Grinsen, das mehrere faulig schwarze Zähne enthüllte. »Stirb«, stieß er hervor.
Doch der Angriff erfolgte aus einer vollkommen anderen Richtung, als Jonan es erwartet hatte. Auf einmal schlang sich ein kräftiger Arm um seinen Hals und zog seinen Kopf zurück. Dann ging alles plötzlich sehr schnell.
Instinktiv rammte Jonan seinen Kopf nach hinten, um den unerwarteten Gegner im Gesicht zu treffen. Ein schmerzerfülltes Grunzen war die Folge. Gleichzeitig spürte er, wie ihm etwas in die Seite gerammt wurde. Schmerzen explodierten an seinem rechten Rippenbogen.
Keine Sekunde später stand plötzlich Carya neben seinem ersten Gegner. Auf ihren Zügen lag ein Ausdruck eiskalter Entschlossenheit, und in ihren Augen brannte etwas, das Jonan so nicht kannte. So schnell, dass er mit den Blicken kaum folgen konnte, hatte sie Pitlits silbernen Revolver an die Schläfe des Mannes gelegt und abgedrückt. Blut und Hirnmasse spritzten auf die Blätter des nebenstehenden Gebüschs. Bevor der Knall des Schusses auch nur verhallt war, hatte sie den Arm bereits herumgerissen und den rauchenden Lauf der Waffe auf Jonan gerichtet.
Er hatte nicht einmal Zeit, zusammenzuzucken, bevor der zweite Schuss krachte. Die Kugel flog so nah an seiner linken Wange vorbei, dass er den scharfen Luftzug spürte. Gleich darauf vernahm er hinter sich ein ersticktes Gurgeln. Der Arm um seinen Hals lockerte sich, und sein unsichtbarer zweiter Gegner sackte zu Boden.
»Danke. Ich …« Er keuchte kurz auf, als die Welt um ihn herum zu schwanken anfing. Seine Hand legte sich auf seine rechte Seite. Das Leder der abgewetzten Jacke war feucht. »Oh, verflucht«, entfuhr es ihm. Sein Blick verengte sich, und er blinzelte angestrengt, um die Schwärze, die von allen Seiten herankroch, zu verscheuchen.
Carya ließ den Revolver fallen, ohne die Waffe weiter zu beachten. Leben kehrte in ihre Miene zurück, und sie machte ein besorgtes Gesicht. »Jonan, alles in Ordnung?« Sofort war sie an seiner Seite und stützte ihn. »Du bist verletzt«, stellte sie fest.
»Heiliger Strohsack«, kommentierte Pitlit, der hinter Carya auftauchte, sich bückte und seinen Revolver aus dem Gras aufhob. »Du bist eine echte Killerin.«
Aus den Augenwinkeln sah Jonan, wie Carya dem Straßenjungen einen finsteren Blick zuwarf.
Der machte ein erschrockenes Gesicht. »Ich … äh … tut mir leid. So war das nicht gemeint.« Er ging hinter dem Gebüsch in die Hocke, ohne dabei auf den Erschossenen, der neben ihm lag, weiter zu achten. Irgendwie fand Jonan diese Abgebrühtheit bei einem Dreizehnjährigen erschreckend.
Matt ließ er sich auf den Erdboden sinken. Unten auf der Handelsstraße wurde noch immer gekämpft. Männer und Frauen schrien, Schüsse peitschten und Pferde schnaubten. Aber Jonan kam es vor, als finde das alles im Moment weit weg von ihm statt.
Wie stark blutet meine Wunde eigentlich?
, fragte er sich. Ob irgendwelche wichtigen Organe getroffen worden waren? Er konnte nach wie vor problemlos atmen. Die Lunge hatte sein Gegner also nicht erwischt.
Wenigstens etwas
.
Carya kniete sich an seine Seite. »Es wird alles wieder gut«, versprach sie. »Ich passe auf dich auf.«
»Eigentlich ist das mein Spruch«, erwiderte
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