Das geraubte Paradies
Pistolenschuss.
»Eine Falle!«, schrie Carya.
Am Rand der Straße kam plötzlich Bewegung ins Buschwerk unter den Bäumen. Etwa ein halbes Dutzend Vermummte sprangen auf die Straße und rannten mit heiserem Brüllen, lange Messer schwingend, auf die Kutschen zu. »Wir müssen hier weg«, rief Giraud. Der spindeldürre Francianer hielt anstelle von Mustard die Zügel der ersten Lastkutsche in den Händen. Nervös sah er sich um.
»Verteidigt die Karawane!«, befahl Seyfried vom zweiten Kutschbock aus. Eine Sekunde später krachte sein Gewehr, und einer der Angreifer wurde zu Boden gerissen. Weitere Schüsse peitschten, doch nicht alle stammten von den Händlern, wie Carya mit Entsetzen feststellte, als der kraushaarige Mann, der sich eben übergeben hatte, mit einem Gurgeln stolperte und zwischen den herumliegenden Baumstämmen umkippte.
Ein Geräusch erkannte Carya hingegen auf der Stelle: das charakteristische Hämmern von Jonans Templersturmgewehr. Während sie noch mit Pitlit am Straßenrand nach Deckung suchte und überlegte, was sie als Unbewaffnete tun konnte, um Mustard und seinen Leuten zu helfen, sah sie, wie Jonan den Lauf seines Gewehrs hin- und herschwenkte. Er hatte sich zwischen die Sträucher gekniet. Auf seiner Miene lag grimmige Konzentration. Kurze Feuerstöße schlugen aus der Mündung der übergroßen Waffe in seinen Händen.
Er war so beschäftigt, dass er gar nicht bemerkte, wie in seinem Rücken auf einmal ein Busch lebendig wurde. Ein weiterer Wegelagerer, braun gekleidet und fast vollständig von Laub bedeckt, erhob sich einem Naturgeist gleich aus dem Gestrüpp, in der Hand eine matt schimmernde Klinge.
»Jonan!«, schrie Carya. »Hinter dir!« Ihr Ruf ging im allgemeinen Durcheinander unter.
»Hab ihn«, verkündete Pitlit neben ihr triumphierend. Als sie den Blick senkte, fiel er auf den großen, silbernen Revolver, den der Junge bei sich trug, seit die junge Ausgestoßene Suri ihm die Waffe vor vielen Wochen vor ihrer Abreise aus dem Dorf der Mutanten geschenkt hatte.
»Nein!«, versuchte Carya ihn aufzuhalten, aus Angst, er könne bei seinem Versuch, Jonan zu helfen, diesen womöglich lebensgefährlich verletzen.
Aber sie war zu langsam. Ohrenbetäubend laut knallte der Schuss, und der Lauf des Revolvers ruckte nach oben, weil die Waffe eigentlich viel zu schwer für ihren jungen Besitzer war.
Er traf weder Jonan noch seinen Angreifer. Stattdessen peitschte die Kugel ins Gebüsch und zerfetzte auf ihrem Weg bloß einige Zweige. Das genügte jedoch, um Jonans Aufmerksamkeit zu erregen. Sein Kopf fuhr herum und suchte nach der neuen Bedrohung.
Diesen Moment wählte sein Gegner, um zuzuschlagen!
Kapitel 4
Blitzschnell fuhr die matt schimmernde Klinge auf Jonan herab. In letzter Sekunde gelang es ihm, sein Gewehr hochzureißen und das lange Messer mit dem Lauf abzufangen. Klirrend schlug es dagegen und glitt daran hinunter, bevor es am Schaft hängen blieb.
Jonan nutzte die Gunst des Augenblicks und drehte das Gewehr, um seinem Angreifer das Messer aus der Hand zu hebeln. Der vollkommen in braune Lumpen und grünes Blattwerk gehüllte Mann grunzte unwillig und zog die Waffe rasch zurück.
Sofort setzte Jonan nach, schlug mit dem Gewehrkolben zu und versuchte, seinen Gegner zu betäuben. Der hingegen machte einfach einen Schritt nach hinten und wich dem Angriff aus, bevor er sich wie ein sprungbereites Raubtier duckte und nach vorne warf.
Fluchend kam Jonan aus dem Gleichgewicht und fiel nach hinten um. Mit dem Krachen berstender Zweige landeten sie beide im Gebüsch. Jonan hieb dem halb auf ihm liegenden Mann das schwere Templersturmgewehr auf den Rücken, dann ließ er es fallen, weil es ihm im Nahkampf nur hinderlich war.
Ich muss an mein Messer
, erkannte er.
Er versuchte, sich hangabwärts zu rollen, um die Oberhand zu gewinnen. Der Wegelagerer verhinderte dies jedoch, indem er die Beine spreizte und die Füße in den weichen Erdboden grub. Erneut fuhr der Arm mit dem Messer herab. Jonan riss den Kopf zur Seite. Diesmal gelang es ihm nicht ganz, dem Angriff zu entgehen. Die Klinge streifte sein linkes Ohr, und er verspürte einen schneidenden Schmerz.
Mit Wucht schlug er dem Gegner die rechte Faust gegen die Schläfe, und endlich gelang es ihm, ihn abzuschütteln. Stolpernd kam er auf die Beine und zog sein eigenes Kampfmesser aus dem Stiefel.
Verflucht, wie lange ist es her, dass ich mich im Messerkampf geübt habe?
, dachte er. Viel zu sehr hatte er sich in den
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