Das geraubte Paradies
nahm einen Schluck Wein. Danach begann er zu erzählen. Seine Reise mit Carya nach Francia kürzte er ab, auch die Geschehnisse auf Château Lune fasste er auf das Nötigste zusammen. Allerdings betonte er die Bündnisgespräche zwischen dem Mondkaiser und dem Lux Dei, von denen sie vor Ort erfahren hatten, und wie Carya einer Organisation namens Erdenwacht auf die Schliche gekommen war, die allem Anschein nach von den Verhandlungen nicht im Geringsten begeistert war.
»Die Erdenwacht?« Adara runzelte die Stirn. »Von dieser Gruppierung habe ich noch nie gehört.«
»Das hat kaum ein Mensch«, erwiderte Jonan, »und zwar aus gutem Grund. Die Erdenwacht verbirgt sich in der Schwarzen Zone tief in den Bergen im Norden. Seit Jahrzehnten, und glauben Sie mir, ich konnte es selbst nicht fassen, als ich davon erfuhr, manipuliert sie unsere herrschenden Kreise. Das gilt für den Rat des Lux Dei ebenso wie für den Mondkaiser und den König von Austrogermania. Sie verfügt über Spione in jedem Regierungssitz, und bei jeder wichtigen Veränderung hat sie ihre Finger im Spiel. Ihr Ziel ist die absolute Kontrolle über die Welt, und um ihre Macht zu sichern, unterdrückt sie jede Form von Entwicklung.«
»Was genau soll das heißen?«, knurrte Enzo.
»Das will ich Ihnen an ein paar Beispielen verraten.« Jonan hob eine Hand und begann an den Fingern aufzuzählen. »Erstens: Wir führen seit Jahren Krieg gegen all unsere Nachbarn. Warum? Weil im Rat des Lux Dei nur Fanatiker sitzen. Wie kommt das? Weil die Erdenwacht es so will, denn Frieden hätte Wohlstand und Entwicklung zur Folge. Zweitens: Überall herrscht seit Jahrzehnten Treibstoffmangel. Es gibt kaum schnelle Transportmittel, und unsere Industrie kann von vielen Dingen, die früher zum Alltag gehörten, nur träumen, weil Öl der Grundstoff aller Vor-Sternenfall-Technik ist. Doch warum leben wir in ständigem Mangel? Auf dem Meer schwimmen Schiffe mit Millionen und Abermillionen Litern Öl in ihren Tanks! Weil die Erdenwacht den Kapitänen verbietet, offenen Handel zu treiben.«
»Sie scherzen«, sagte Adara ungläubig.
Jonan schüttelte den Kopf. »Nicht im Geringsten. Ich habe so ein Schiff gesehen. Es war groß wie ein Straßenzug von Arcadion. Drittens: Warum, glauben Sie, verfolgt der Lux Dei Gruppen wie die Ascherose? Weil sie sein Weltbild hinterfragen? Sicher auch. Aber der Hauptgrund dafür ist, dass Visionen von Frieden, Zusammenarbeit und Fortschritt von der Erdenwacht nicht gewünscht sind. Denn dadurch würden die Reiche der Erde zu mächtig. Sie würden kommen, um die Erdenwacht zu entthronen. Und genau das geschieht gerade im Norden!«
»Ich dachte, der Lux Dei und Francia führen einen ihrer lächerlichen Glaubenskriege gegen den Ketzerkönig«, sagte Gamilia.
»Das sollten alle denken, aber es war eine Finte. In Wahrheit haben sich die drei Länder verbündet, um die Erdenwacht herauszufordern. Leider läuft der Kriegszug nicht gut. Wir benötigen ein kleines Wunder, um in die Schwarze Zone einzudringen. Ich soll es bewirken. Nun hat Großinquisitor Aidalon auf einmal seine Bündnispartner verraten und mich hierher entführt. Ich konnte zwar entkommen, schaffe es aber nicht mehr rechtzeitig zurück in den Norden, wenn Sie mir nicht helfen.« Jonan blickte Adara ernst an. »Professore, ich brauche das Motorrad, das ich Ihnen damals gegeben habe.«
Einige Sekunden herrschte vollkommene Stille. Dann brach Adara plötzlich in schallendes Gelächter aus. »Das ist alles? Sie erzählen uns die unfassbarste Schreckensgeschichte, die ich seit Langem gehört habe, nur damit ich Ihnen das Motorrad überlasse?«
»Äh …« Jonan musste zugeben, dass die Pointe seiner Geschichte nach der großen Vorbereitung ziemlich bescheiden wirkte.
Der Professor wischte sich Lachtränen aus den Augenwinkeln. »Himmel, ich hätte Ihnen die Maschine gegeben, wenn Sie einfach nur gefragt hätten. Im Grunde gehörte sie ja sogar Ihnen.« Er wurde wieder ernst. »Bitte verzeihen Sie. Eigentlich ist nichts von dem, was Sie erzählt haben, zum Lachen. Es überkam mich einfach so. Ich konnte es nicht zurückhalten. Aber um es zu wiederholen: Natürlich können Sie die Maschine haben. Ich bin sogar bereit, unsere letzten Treibstoffreserven zu opfern, damit Sie auch sicher ans Ziel kommen. Bis zur Schwarzen Zone ist es weit. Und wenn die Dinge so liegen, wie Sie sie beschrieben haben, ist Ihre Mission von größter Wichtigkeit und von einer Art, die das Wirken der
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