Das geraubte Paradies
nickte. »Wie geht es Ferrer?«, wollte sie wissen.
Erneut knackte es in dem Kasten, und die Verbindung zu ihrem unsichtbaren Wärter war unterbrochen. Eine Antwort bekam sie nicht.
Die nächste Mahlzeit, die sie erhielt, bestand aus einem Teller mit Kartoffelbrei, geschnittenen Bohnen und einer Fleischsoße, der zusammen mit einem Kunststofflöffel und einer Flasche Wasser, die ebenfalls aus Kunststoff bestand, gebracht wurde. Es musste also bereits Mittagszeit sein. Sie war länger ohne Bewusstsein gewesen, als sie gedacht hatte.
Nur noch ein paar Stunden
, ging es ihr durch den Kopf, während sie das Essen löffelte.
In ein paar Stunden ist die Rakete einsatzbereit. Und ich kann nichts dagegen unternehmen. Oh, Jonan, hoffentlich kommst du einmal mehr rechtzeitig als Retter in der Not, auch wenn es nicht mein Leben ist, das diesmal auf dem Spiel steht.
Carya hatte kaum fertig gegessen, als sich die Tür zu ihrer Zelle erneut öffnete. Doch der Wachmann kam nicht, um ihr das Tablett wieder abzunehmen. »Du hast Besuch«, verkündete er stattdessen. »Ich bringe dich jetzt in den Sprechraum. Du wirst nicht gefesselt, aber denk dran: Solange du das Halsband trägst, können wir dich innerhalb einer Sekunde ausschalten. Also mach keinen Unsinn, verstanden?«
»Wer besucht mich?«, fragte Carya erstaunt.
»Doktor Freeman«, erwiderte der Wachmann.
»Freeman?« Ihre Verwunderung nahm noch zu. Was konnte der Gentechniker, ihr
Vater
, von ihr wollen?
»Willst du ihn sehen?« Der Wächter klang ungeduldig.
»Ja, natürlich.«
»Dann komm mit.«
Er führte sie durch einen Gang, der an einer Glastür endete, die den Zellenbereich vom Rest des Gefängnisses trennte. Carya fand eine Glastür ja ein wenig unsicher, revidierte ihre Meinung allerdings, als der Wachmann sein Armband an ein Feld neben der Tür hielt und diese beim Aufgleiten enthüllte, dass sie mehrere Zentimeter dick war.
Am Ende des Ganges bogen sie nach links ab und traten durch eine Tür in einen Raum, der in der Mitte durch eine weitere Glaswand geteilt war. Auf beiden Seiten standen ein paar Stühle. Winzige Löcher im Glas erlaubten es, sich zu unterhalten. »Ich bin draußen«, sagte der Wächter. »Wenn du den Raum verlassen willst, sag einfach Bescheid. Wir hören alle Gespräche mit.«
Reizend
, dachte Carya, erwiderte jedoch nichts, sondern nickte nur.
Die andere Seite des Raums war noch leer, aber der Wachmann hatte sich kaum verabschiedet, als eine Tür in der gegenüberliegenden Wand aufging und Freeman hereinkam. Der dunkelhäutige Wissenschaftler trat an die Glaswand und blickte Carya betrübt an. Eine zynische Stimme in ihr fragte sich, ob er diese Miene bei allen gescheiterten Experimenten aufsetzte oder ob sie etwas Besonderes war.
»Carya, Carya«, sagte Freeman traurig, »in was für Schwierigkeiten du dich gebracht hast. Was hast du dir nur dabei gedacht, in das Raketensilo einzudringen? Wolltest du etwa die Rakete sabotieren und uns alle in die Luft sprengen?«
»Nein, ich wollte lediglich in der ersten Reihe sitzen, wenn sie startet«, antwortete Carya etwas ungehalten. Was sollte das werden? War der Wissenschaftler extra ins Gefängnis gefahren, um ihr Vorwürfe zu machen?
Freeman überging ihren Sarkasmus. »Du steckst ganz schön in der Klemme, und diesmal kann ich dir nicht helfen. Ich würde den Rat gerne davon überzeugen, dass das alles nicht deine Schuld war, dass du manipuliert wurdest, diesem Techniker den Weg freizumachen. Aber so ist es nicht, stimmt’s?« Er winkte Carya näher. »Komm her, komm zu mir an die Scheibe.«
Widerstrebend leistete sie der Aufforderung Folge.
»Nemesis«, sagte Freeman und beobachtete sie dabei genau.
Carya blickte ihn unverwandt an. »Tut mir leid. Sie kontrollieren mich nicht mehr.«
Er seufzte. »Ich dachte es mir schon. Wer hat dich deprogrammiert? Ziyi? Man hat sie vor ein paar Tagen bei einer Razzia oben im Wald festgenommen, wie mir gesagt wurde. Sie soll einer Widerstandsgruppe gegen die Erdenwacht angehört haben. Sie wäre jedenfalls imstande dazu, deine mentale Architektur umzugestalten. Was hat sie noch gemacht? Hat sie dir Zugriff auf deine Fähigkeiten gewährt?«
»Ich sage Ihnen gar nichts, solange hier jedes Wort mitgehört wird«, erklärte sie ihm. »Nur dies: Ich bin frei, so frei, wie ich sein sollte. So frei, wie jeder sein sollte, gleich ob Mensch oder Invitro.«
»Oh, Carya.« Freeman lächelte milde. »Willst du mir schon wieder erzählen, dass jeder
Weitere Kostenlose Bücher