Das geraubte Paradies
ersten Zusammenstoß klargemacht, dass ich nichts besitze, was die Toten wert wäre, die sie zu beklagen hätten, wenn sie mich angreifen. Also haben wir uns geeinigt, einander zu ignorieren. Ich kümmere mich nicht darum, was sie auf der Handelsstraße treiben, sie lassen meine Tochter und mich in Ruhe.«
Stirnrunzelnd sah Carya ihn an. »Aber … dann verstehe ich noch weniger, warum Sie uns geholfen haben. Sie haben zwei von denen getötet. Ist damit der Frieden nicht gebrochen?«
»Das ist er. Und sie werden kommen und furchtbare Rache nehmen. Keine Angst, nicht heute und nicht morgen, dafür sind sie im Moment zu angeschlagen. Doch irgendwann sicher.«
Kapitel 6
Erschüttert nahm Carya Deniers Worte zur Kenntnis. Sie richtete ihren Blick auf die kleinen gelben Flammen des Lagerfeuers, die beharrlich einen dicken Ast verzehrten. Natürlich war sie dem Einsiedler dankbar für sein Eingreifen, denn er hatte ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit das Leben gerettet. Dass er darüber aber sein eigenes zerstörte und einen fragilen Frieden mit diesen barbarischen Waldmenschen aufkündete, hatte sie nicht gewollt.
Seine Bemerkung über ungebetene Gäste vor ein paar Stunden kam ihr in den Sinn. »Haben Sie deshalb die Fallen um Ihre Hütte aufgestellt? Wegen der Waldleute?«
»Auch, ja«, bestätigte Denier nickend.
Sie werden kommen und furchtbare Rache nehmen
, klang seine düstere Voraussage in ihrem Kopf. Das bedeutete, dass Elje und er hier nicht mehr sicher waren. Sie glaubte nicht daran, dass ein paar Fallen ihre Gegner dauerhaft aufhalten würden. Denier und seine Tochter würden ihr Heim, in dem sie vermutlich über Jahre hinweg gelebt hatten, aufgeben müssen. Weil sie drei vollkommen Fremden geholfen hatten. Je länger sie darüber nachdachte, desto weniger Sinn ergab es. »Ich muss Sie noch einmal fragen«, sagte sie. »Wieso? Wieso setzen Sie das Wenige, das Sie noch haben, für uns aufs Spiel? Sie haben die Waldleute getötet, obwohl Sie wussten, dass diese sich rächen würden. Nur für uns?«
Deniers Lippen verzogen sich zu einem humorlosen Lächeln. »Nein. So selbstlos bin ich nicht. Wie gesagt: Ich habe viel zu oft weggeschaut, wenn sie Reisende überfallen haben. Und es mag richtig gewesen sein, das nicht länger zuzulassen und einen Schlussstrich zu ziehen. Aber das war nicht der Hauptgrund.«
»Hat es irgendetwas mit Pitlit zu tun?«, fragte Carya. »Sie haben ihn ein paar Mal so seltsam angeschaut.«
Denier ließ den mittlerweile leer gegessenen Fleischspieß sinken und drehte ihn zwischen den Fingern. »Vielleicht. Ich bin mir nicht sicher. Er erinnert mich ein wenig an meinen Jungen, Macus. Und irgendwie wollte –
konnte
– ich nicht zusehen, wie er getötet wird.« Er hielt kurz inne, schüttelte dann den Kopf und blickte Carya wieder an. »Er war wohl der letzte Anreiz, den ich brauchte, um meinen Panzer aus Gleichgültigkeit zu sprengen. Trotzdem war der eigentliche Grund, euch zu helfen, noch ein anderer.«
Carya schwieg erwartungsvoll.
Ihr Gegenüber verzog die Lippen. Offenbar gefiel es ihm gar nicht, so viel von sich preiszugeben. Schließlich sprach er aber doch weiter. »Ich sterbe«, sagte er.
»Was?« Überrascht hob Carya die Brauen. Mit dieser Eröffnung hatte sie nicht gerechnet.
»Ich habe, noch im Dienst des Mondkaisers damals, einfach zu viel Zeit an Orten verbracht, an denen sich kein Mensch aufhalten sollte. Wir haben uns Medikamente dagegen gespritzt, aber wir wussten nicht, ob sie viel helfen würden. Sie haben es nicht. Und nun muss mein Körper die Rechnung bezahlen. Man mag es mir noch nicht ansehen, weil die Symptome schleichend sind. Aber ich war Sanitäter, und ich habe viele alte Texte gelesen. Ich erkenne eine solche Krankheit.«
»Der lautlose Tod …«, murmelte Carya. »Ist es das?«
»Dieser Begriff sagt mir nichts«, gestand Denier.
»Die Ausgestoßenen – die Mutanten, wie viele sie nennen –, bei denen wir eine Zeitlang in der Wildnis gelebt haben, litten darunter. Zumindest viele von ihnen. Der Arzt des Dorfes sagte, die Todeszonen seien der Grund dafür.«
»Nun, eigentlich nennt man es Krebs. Es handelt sich um eine mögliche Folge erhöhter Strahlenbelastung. Aber ›der lautlose Tod‹ trifft es ganz gut.«
»Das ist furchtbar … Aber ich verstehe immer noch nicht, was das mit uns zu tun hat«, sagte Carya kopfschüttelnd.
»Wie ich schon sagte: Ich sterbe. Die Krankheit wird jeden Tag etwas schlimmer. Ich gebe mir Mühe,
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